Judith Pühringer und Peter Kraus haben zwar noch nicht angekündigt für die Parteispitze der Wiener Grünen kandidieren zu wollen – dürften dies aber bald tun. Am Samstag wurde ihr Leitantrag zur grünen Oppositionsarbeit der Zukunft mit 94 Prozent angenommen. Für die Statutenänderung, die künftig auch Teams zur Wahl zur Parteispitze zulässt, stimmten am Samstag 76,3 Prozent. Wer die Partei künftig tatsächlich führen wird, soll im Herbst bei der nächsten Landesversammlung entschieden werden.

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Die Wiener Grünen setzten bei ihrer 84. Landesversammlung auf Nummer sicher: Das Zusammenkommen fand, anders als der Bundesparteikongress vor einer Woche, nur virtuell statt, wenngleich Bundesparteiobmann Werner Kogler in seiner Video-Grußbotschaft baldige persönliche Treffen herbeisehnte. "Aber einige sehe ich ja hoffentlich ohnehin ab 14 Uhr bei der Pride", sagte Kogler passend mit Regenbogenfahne im Hintergrund.

Breite Zustimmung für Zukunftsideen, knappe Sache bei Thema Führungsduo

Auch bei der Landesversammlung durfte die bunte Fahne nicht fehlen, zusätzlich schimmerte grünes Licht Ziegelwände hinauf. Das Motto des Tages – "Weichen stellen" – stand dabei auf einem großen Plakat hinter dem Präsidium, das durch die Sitzung führte.

Denn die Wiener Grünen beschlossen am Samstagvormittag, wer in Zukunft die Richtung vorgeben soll. Zwar nicht offiziell, denn die nichtamtsführenden Stadträte Judith Pühringer (Themenbereich soziale Gerechtigkeit) und Peter Kraus (Klima) wurden noch nicht als Doppelspitze gewählt, sie haben ihre Kandidatur auch noch gar nicht bekannt gegeben.

Dass dies aber bald passieren dürfte, ist ziemlich sicher: Denn einerseits wurde am Samstag die dafür notwendige Statutenänderung auf den Weg gebracht – künftig sollen sich demnach auch Teams für die Parteiführung bewerben können, nicht nur Einzelpersonen. 76,3 Prozent stimmten dafür, diese Kann-Bestimmung künftig in den Statuten zu haben. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wurde also nur denkbar knapp erreicht.

Abgestimmt wurde gleich zu Beginn der Versammlung außerdem über einen von Pühringer und Kraus eingebrachten Leitantrag – und zwar mit einer großen Mehrheit von 94,3 Prozent. Zwölf Personen sprachen sich dagegen aus.

Chefposten schon länger vakant

In dem Leitantrag präsentierten Pühringer und Kraus ihre Ideen für die grüne Oppositionsarbeit in der Hauptstadt. Denn trotz eines Plus von fast drei Prozent auf 14,80 Prozent kam es bei der letzten Wahl zu keiner Neuauflage der rot-grünen Stadtregierung. Den Juniorpartner der Sozialdemokraten geben seither die Neos, Birgit Hebein trat als Chefin der Wiener Grünen zurück. Seither ist der Posten vakant – interimistisch führt derzeit Peter Kristöfel.

Der Chefposten wurde übrigens erst geschaffen, als Hebein schon Stadträtin war – 2019. Zuvor gab es formal keine Obfrau bzw. keinen Parteiobmann. Maria Vassilakou, Hebeins Vorgängerin, wurde zwar gerne als "Frontfrau" tituliert, Parteichefin war sie aber de facto nie.

Keine große Kritik am Programm

Betont wurde am Samstag von Kraus und Pühringer mehrmals, dass es sich nicht um ein fix-fertiges Parteiprogramm handle, sondern um einen Antrag, "der Lust darauf machen soll, gemeinsam weiter daran zu arbeiten", wie Kraus sagte. Bis einen Tag vor der Landesversammlung seien noch Änderungen eingeflossen, denn man habe sich schon mit vielen Parteikolleginnen und Kollegen im Vorfeld über den Leitantrag ausgetauscht.

Große Kritik gab es daher auch am Samstag nicht. Die meisten Wortmeldungen lobten Kraus und Pühringer für den Vorstoß und den breiten Prozess. Der Antrag sei richtig, der Inhalt aber dürftig, meinte zumindest ein Grüner kritisch. Auch David Ellensohn, der sich 2018 selbst für den Chefsessel der Wiener Grünen bewarb, war voll des Lobes. Die Industrie sei sogar schneller als die Sozialdemokratie, da würde man noch Verbrenner-Busse bestellen, wenn es gar keine mehr gebe, kritisierte er den ehemaligen Koalitionspartner.

Inhalte: Klima, ...

Das erste formulierte Ziel der Grünen ist eine ökologische Verkehrswende: "Wir wollen 2030 in einer Stadt leben, in der fossil betriebene Fahrzeuge der Vergangenheit angehören", heißt es in dem Antrag. Alle Wienerinnen und Wiener sollen rasch, sicher, günstig und klimaneutral unterwegs sein können. Die Grünen in Deutschland hatten einen ähnlichen Vorstoß bereits vor Jahren formuliert und ebenfalls das Jahr 2030 als Zeitpunkt festgelegt, ab dem kein Auto mit fossil betriebenem Verbrennungsmotor mehr vom Band rollen soll. Ab 2030 soll zudem der Strom in Wien "zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen" kommen.

Am Samstag betonte Kraus in einem Video, dass es "keine neuen Autobahnen durch die Stadt oder die Lobau" mit den Grünen geben werde. "Das nächste Jahrzehnt wird ein blühendes Jahrzehnt." Deswegen müsse man Betonwüsten aufbrechen. Kraus nennt hier den Naschmarktparkplatz als Beispiel – auch für die "Mutlosigkeit roter Planungspolitik." Es brauche dort "mehr Grün und mehr Bäume." Eine Petition dafür habe bereits 18.000 Unterschriften erreicht. "Ich will, dass die, die nach uns kommen, noch immer in der leiwandsten Stadt der Welt leben. Das geht nicht von selbst", sagte Kraus in dem für die Landesversammlung vorbereiteten Video.

... und soziale Gerechtigkeit

Ein solches hatte natürlich auch Judith Pühringer auf Lager – durch Wien radelnd sprach sie vor allem über die Themen Arbeitslosigkeit bzw. soziale Gerechtigkeit. Passenderweise hatte dazu auch der Grüne Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein einen Gastauftritt im Video. So lange Ungleichheiten – etwa in der Lebenserwartung zwischen zwei Bezirken – noch bestehen würden, "so lange werden wir dagegen kämpfen und dagegen arbeiten. Kämpferisch, solidarisch, ökologisch und feministisch", sagte Pühringer. Bis 2030 soll die vorhandene Arbeit fair aufgeteilt werden und die Digitalisierung so weit genutzt werden, "dass eine 30-Stunden-Woche ausreicht", heißt es im Leitantrag.

Reaktiviert wurde zudem eine Forderung, die die einstige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou bereits 2010 vor der Wien-Wahl propagierte: eine Mietzinsobergrenze von sieben Euro. Im Bereich Bildung soll unter anderem eine inklusive gemeinsame Schule aller 6- bis 15-Jährigen vorangetrieben werden – ohne Trennung mit zehn Jahren in verschiedene Schultypen und Kategorien. Zudem wollen die Grünen, dass 2030 "alle Menschen, die in unserer Stadt leben, das Wahlrecht haben".

Kontroverse Diskussion über Doppelspitze

Kontroverser wurde über die Statutenänderung bezüglich möglicher Doppelspitze diskutiert, die ja auch nur ganz knapp die notwendige Zweidrittelmehrheit erreichte. Ein Parteimitglied beschrieb die Idee als "sehr unklug, weil es kein klares Bild nach Außen" gebe. Andere befürchteten, dass medial trotz weiblicher und männlicher Spitze nur der Mann übrig bleibe.

Auch bei den Grünen ganz im Westen dürfte es in Zukunft bald eine Doppelspitze geben: Daniel Zadra, grüner Klubobmann im Landtag, und Eva Hammerer haben am Freitag angekündigt, bei der Landesversammlung am 26. Juni gemeinsam kandidieren zu wollen. Die notwendige Statutenänderung für eine Doppelspitze passierte im Ländle bereits im März. Der langjährige Chef der Vorarlberger Grünen, Johannes Rauch, zieht sich aus der Politik zurück.

Doppelspitze wohl bald auch im Ländle

"Eine Doppelspitze sollte nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Wir sprechen oft über Gleichberechtigung, über die Verteilung von Arbeit und das Aufteilen von Verantwortung. Während sich die Gesellschaft rasant verändert, bildet sich das in Führungspositionen – vor allem in der Politik – bis dato sehr wenig ab", erklärt das Duo Hammerer und Zadra gegenüber dem ORF Vorarlberg die gemeinsame Kandidatur. (Lara Hagen, David Krutzler, 19.6.2021)