Johannes Rauch gibt nach 24 Jahren die Führung der Vorarlberger Grünen ab – am Samstag kandidieren Daniel Zadra und Eva Hammerer als Doppelspitze.

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2004 war Rauch erstmals Spitzenkandidat – und bescherte den Grünen erstmals 10 Prozent.

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Zehn Jahre später traten die Grünen in eine Koalition mit der ÖVP ein – Rauch ist seither und bis zum Ende dieser Legislaturperiode 2024 Landesrat.

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Als Johannes Rauch vor 24 Jahren die Grünen in Vorarlberg übernimmt, heißt der österreichische Kanzler Viktor Klima (SPÖ), Joanne K. Rowling veröffentlicht den ersten "Harry Potter"-Band, Prinzessin Diana stirbt – und ein Smartphone ist in weiter Ferne, noch nicht einmal das Nokia 3210 ist auf dem Markt. Mit anderen Worten: Der Rankweiler führt die Vorarlberger Grünen seit langer Zeit und durch turbulente Zeiten, auch persönlich: Rauch erkrankte 2005 an Darmkrebs, zog sich für ein Jahr aus der Politik zurück. Am Samstag wird sich der gelernte Sozialarbeiter beim Landesparteitag nun nicht mehr der Wahl stellen, wie der 62-Jährige schon vor langer Zeit angekündigt hat.

Mit Ausnahme der ersten Wahl unter seiner Verantwortung (1999) konnten die Grünen jedes Mal dazugewinnen – aktuell kratzt man an der 20-Prozent-Marke. Die Nachfolger übernehmen die zweitstärkste Partei im Ländle. Der Plural ist Absicht, denn am Samstag wurde das Duo Daniel Zadra, aktuell grüner Klubobmann im Landtag, und Eva Hammerer an die grüne Spitze gewählt. Gegenkandidaten gab es keine. Rauch bleibt bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 Landesrat in der türkis-grünen Landesregierung.

STANDARD: Kann man als grüne Partei, die Transparenz als Grundwert in der DNA trägt, noch guten Gewissens mit einer Partei koalieren, die regelmäßig den Rechtsstaat angreift und rechtskräftige Urteile nicht umsetzt, weswegen Bundepräsident Alexander Van der Bellen schon wieder tätig werden musste?

Johannes Rauch: Ja, das muss man sogar. Alma Zadić ist – im Übrigen auf einer Linie mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen – nämlich Garantin dafür, dass ebendieser Rechtsstaat ordnungsgemäß und unbeeinflusst arbeiten kann. Diese Angriffe auf den Rechtsstaat und die Justiz sind eine Zumutung für die demokratische Verfasstheit Österreichs, die die ÖVP zu verantworten hat. Dem entschieden entgegenzutreten ist in diesen Tagen Kernaufgabe grüner Regierungsbeteiligung.

STANDARD: Ist Blümel für Sie rücktrittsreif? Und wenn ja, gilt das auch für den Kanzler, gegen den bekanntermaßen strafrechtlich ermittelt wird?

Rauch: Die Frage, ob ein Finanzminister, der agiert wie Gernot Blümel, noch haltbar ist, muss sich in erster Linie Bundeskanzler Sebastian Kurz stellen, Einzelne seiner Landeshauptleute tun das ja schon offen. Wenn Blümel tatsächlich jetzt immer noch Akten zurückgehalten haben sollte, muss er aus meiner Sicht zurücktreten. Den demokratischen Institutionen vom Parlament, dem Verfassungsgerichtshof bis zum Bundespräsidenten auf der Nase herumzutanzen kann jedenfalls nicht hingenommen werden. Wir sind ja nicht in Ungarn oder Polen. Beim Kanzler gilt: Mein Vertrauen in die Arbeit der Justiz ist ungebrochen. Die soll jetzt ungestört ihre Arbeit machen können.

STANDARD: Sie sind jetzt sieben Jahre in Regierungsverantwortung, 14 Jahre lang waren sie in der Opposition. Welche Rolle liegt Ihnen denn eher?

Rauch: Ich wurde als Oppositionspolitiker sozialisiert, das prägt schon. Ich habe damals gelernt, dass Zähigkeit und Hartnäckigkeit wirken können. Immerhin haben wir aus der Opposition heraus das 365-Euro-Ticket umgesetzt. Regieren ist etwas komplett anderes, das musste ich zunächst lernen. Aber natürlich kann man hier viel mehr umsetzen als in der Opposition. Es ist ein Gestaltungsauftrag. Meine Grundausbildung ist ja die soziale Arbeit – die habe ich immer politisch verstanden und die Politik immer auch als soziale Arbeit.

STANDARD: Sie haben Ende der 1990er-Jahre eine zerstrittene Partei übernommen und bei der ersten Wahl, zwar nicht als Spitzenkandidat, aber als Parteichef, einen schweren Verlust eingefahren. Nun übergeben Sie am Samstag eine beinahe 20-Prozent-Partei, seit 1999 gab es Zugewinne bei jeder Wahl. Was raten Sie Ihren Nachfolgern – es wird ja eine Doppelspitze sein.

Rauch: Die inhaltlichen Herausforderungen sind heute viel größer als Ende der 90er: Wie tun nach der Pandemie? Wie tun mit der Klimaveränderung? Das sind sehr, sehr große Fragen, die es zu beantworten gilt. Ich finde es immer komisch, wenn der Alte den Jungen etwas mitgeben will, aber: Es lohnt sich immer, Wert auf das politische Handwerk zu legen, sich in der Tiefe mit bestimmten Materien zu beschäftigen. Nicht nur die Verpackung, sondern der Inhalt muss da sein. Der kontroversielle Austausch mit verschiedensten Interessensgruppen ist zwar oftmals mühselig, und man braucht einen langen Atem. Aber ich habe gelernt, dass er sich am Ende auch bewährt.

STANDARD: Apropos Verpackung statt Inhalte – das ist ja etwas, was man gemeinhin der ÖVP, Ihrem Koalitionspartner, vorwirft.

Rauch: Ich mache einen Unterschied zwischen der ÖVP im Land und jener im Bund. Ganz allgemein ist die Landesliga etwas ganz anderes als die Bundesliga: Dort sind Intensität und Tempo einfach viel höher. Im kleinen Vorarlberg haben sich die Parteien erfreulicherweise untereinander die Konsensfähigkeit erhalten. Alle Parteien haben zum Beispiel dem Budget zugestimmt, das gäbe es im Bund nie. Ich halte das für eine Qualität.

STANDARD: Sie sind seit 2014 mit der ÖVP in einer Koalition und zitieren in dem Zusammenhang immer gerne Helmut Schmidt, wonach die Demokratie vom Kompromiss lebe und wer keinen solchen eingehen könne, sei folglich auch nicht für die Demokratie zu gebrauchen.

Rauch: Ich bin keiner, der eine Auseinandersetzung scheut. Aber am Ende soll unser Tun etwas bringen und die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern – da muss schon ein Ziel im Fokus sein. Was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, ist diese Getriebenheit auf Boulevard-Schlagzeilen. Das ist keine Politik. Der Zug, nur klick-basierte Politik zu machen, ist eine Zeitgeist-Erscheinung. Dem kann man nur versuchen, etwas entgegenzuhalten.

STANDARD: Sie haben das Zitat auch 2019 kurz vor der Nationalratswahl gebracht. Es wurde bekanntlich Türkis-Grün im Bund. Und Ihre Partei muss seither immer wieder erklären, wieso man die Koalition nicht aufkündigt – wegen diametralen Positionen bei der Zuwanderung oder eben wenn es um Ermittlungen gegen ÖVP-Politiker geht.

Rauch: Wie gesagt: Justizministerin Alma Zadić verteidigt in den letzten Wochen die Unabhängigkeit der Justiz– sie ist das Fundament dafür, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiterhin existieren können. Dieses Match führt sie mit vollstem Einsatz und zu Recht. In selber Dimension macht das auch Umweltministerin Leonore Gewessler, die Milliarden auf den Weg bringt. Es kommt die ökologische Steuerreform im nächsten Jahr. Da geht es echt um Substanz und um Kernanliegen.

STANDARD: Sie wollen noch bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 als Landesrat im Amt bleiben. Sie hätten im Bund alles werden können, haben Sie einmal gesagt. Haben Sie nie bereut, nicht nach Wien gegangen zu sein – und schließen Sie das auch für die Zukunft aus?

Rauch: Nein, das habe ich nie bereut. Das war spätestens seit meiner Darmkrebserkrankung 2005 überhaupt kein Thema. Welchen Preis man mitunter gesundheitlich in der Bundespolitik bezahlen muss, wurde ja unlängst wieder deutlich.

STANDARD: Sie können auf beinahe 24 Jahre an der Spitze der Vorarlberger Grünen zurückblicken – was bleibt da besonders in Erinnerung?

Rauch: Es ist immer so eine Sache, die eigene Leistung zu beurteilen. Das sollen andere machen. Aber was sich im öffentlichen Verkehr, im Radverkehr getan hat, das würde ich schon hervorheben. Auch in der Kinderbetreuung wurde seit 2014 durch meine geschätzte Kollegin Katharina Wiesflecker sehr viel aufgeholt. Auch im Energiebereich gibt es eine gute Entwicklung, die Photovoltaik-Zahlen gehen durch die Decke. Und dass wir nach fünf Jahren als Juniorpartner in der Regierung 2019 dann trotzdem noch dazugewinnen konnten, das war schon ein sehr schöner Erfolg.

STANDARD: Die Grünen kratzen in Vorarlberg an der 20-Prozent-Marke, man ist zweitstärkste Kraft in einem "tiefschwarzen" Bundesland. Ist da in Zukunft überhaupt noch mehr drinnen?

Rauch: Natürlich! Man muss nur nach Baden-Württemberg schauen, da gibt es einen grünen Ministerpräsidenten.

(Lara Hagen, 26.6.2021)