Die nuklear aufgepumpte Echse Godzilla und der übergroße sensible Affe Kong treffen aufeinander.

Foto: 2021 Legendary and Warner Bros. Entertainment Inc.

Den Gesetzen der Physik nach wird es in Richtung Erdmittelpunkt nicht nur heißer, sondern auch dichter. Es gibt aber zu jedem Newton einen Theoretiker der Leichtkraft, bei dem die Äpfel nach oben trudeln und ein jedes Partikel tut, was es will. In Godzilla vs. Kong heißt der entsprechende "Wissenschafter" Nathan Lind. Und nach seinem Kenntnisstand ist die Erde hohl. Nicht hohl wie der Kopf, der sich alles einreden lässt, sondern hohl wie ein Gefäß, in dem Wunderliches Platz hat.

Zum Beispiel ein Auslauf für den größten aller Affen. Eine fantastische Welt, in der auch noch ein paar Könige der Löwen und jede Menge Daktaris sich tummeln könnten, aber das sind andere Baustellen. Es wird in Godzilla vs. Kong, dem vierten Teil in der wiederbelebten Monsterserie mit dem fernöstlichen Ungeheuer, ohnehin schon genug fusioniert.

Mensch als Ungeheuer

Die nuklear aufgepumpte Echse aus den japanischen Toho-Studios und der sensible Affe aus der amerikanischen Billigfilmfabrik RKO fanden 2017 zum ersten Mal zusammen, nachdem jemand auf die Idee gekommen war, man könnte doch Monster aus allen Erdteilen aufeinander loslassen. Erst als Monsterversum ("monsterverse") wird das Universum so richtig universal – der alte Thomas Hobbes könnte direkt seine Gesellschaftstheorie umschreiben: Der Mensch ist dem Menschen kein Wolf, sondern ein Ungeheuer.

Für Godzilla vs. Kong haben sich Regisseur Adam Wingard und eine Fünferbrigade an Autoren eine Menge ausgedacht. Und sie haben sich auch ein bisschen bedient, zum Beispiel am Anfang bei Steven Spielberg. Das Exil, in dem sich Kong vorfindet, hat etwas von einem Jurassic Park.

Ein tropisches Habitat, das sich nur der Größe nach von einem Zoogehege unterscheidet. Kong lebt dort wild umschlungen von Grünzeug, aber unter ständiger Beobachtung. Ein indigenes, taubstummes Mädchen namens Jia hält die Verbindung zu Kong, sie ist quasi sein Medium. Kong ist aber natürlich mehr als ihr Avatar. Er steht für den alten Topos, dass sich in jeder Bestie potenziell eine schöne Seele verbirgt.

Klar verteilte Sympathien

Obwohl der Titel zuerst einmal eher auf neutral macht, scheinen die Sympathien klar verteilt: Kong ist die Kreatur, die den Menschen notfalls beisteht, während Godzilla titanische Zerstörungskraft ausstrahlt mit seinem Echsenschweif und seinem Haupt, in das man nicht so leicht Gesichtszüge oder gar Individualität hineinlesen würde wie bei Kong.

Der Clou der Geschichte besteht dann aber darin, dass das "versus" in Godzilla vs. Kong dialektisch aufgehoben wird: zu den Antagonisten gesellt sich ein drittes Wesen, von dem immerhin so viel verraten werden darf, dass es eine Kopfgeburt ist.

Vor allem Godzilla ist ja mit seiner Herkunftsgeschichte ein Beleg dafür, dass die schlimmsten Plagen alle auf menschlichem Mist gewachsen sind, während Kong uns eher durch seine ins Übergroße entglittene evolutionäre Nähe einschüchtert. Tut man zu diesen Verhältnissen noch eine entglittene mechanische Spielzeugfigur hinzu, hat man eine Ahnung von den Herausforderungen, vor denen Kong und Godzilla und die kleinen Menschenwesen dieses Mal stehen.

Kreativ abgemüht

Bei Kong verdankt sich das entscheidende Comeback dem Film King Kong von Peter Jackson aus dem Jahr 2005. Er brachte die Ablösung der alten Tricktechnik, mit der sich Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack 1933 kreativ abgemüht hatten, durch digitale Effekte, die buchstäblich jedes Haar am Affenkörper einzeln beleben konnten. Seither sind die Rechnerkapazitäten nicht geschrumpft, sodass tatsächlich jedes Jahr weitere Feinheiten an Detailfinesse und an Figurensubtilität hinzukommen.

Man wird sich die Spektakelfilme seit 2000 irgendwann auch anschauen können wie Jahresringe einer großen Bewegung auf einen bis auf die Atomebene fein ziselierten Realismus zu, der eben keinerlei Vorlage mehr braucht – außer das riesige Repertoire der Vorstellungen von Humanität, Monstrosität, Natürlichkeit und erhabener Gewalt, das die Menschheit entwickelt hat.

Das Reich im Inneren

Fast scheint es, als hätte Godzilla vs. Kong von dieser epochalen Verdoppelung der Welt durch ein digitales Imaginäres einen Begriff. Denn die hohle Erde, das Reich im Inneren, das sich hinter einem Kipppunkt der Druckverhältnisse eröffnet, ist ein Vorschein eines Planeten, der sich nach Belieben neu erfinden kann.

Für Kong tut sich hier eine neue Heimat auf, die aber nur ein neues Reservat ist. Er wird ja draußen oder droben noch gebraucht und haut auch ordentlich dazwischen, als es darauf ankommt. Das Bild seiner künstlichen Savanne aber wird man nicht mehr los. Wenn man das Monsterversum einmal wirklich auswildern wollte, in der hohlen Erde könnte man anfangen. (Bert Rebhandl,.29.6.2021)