Eng gefasster erzählerischer Horizont: Christoph Hein.

Foto: Imago / Gerhard Leber

Den Lesern von Christoph Hein wird der fiktive Ort Bad Guldenberg bekannt vorkommen, er sorgte schon in etlichen seiner Romane für das entsprechende Lokalkolorit einer ostdeutschen Kleinstadt – diesmal ist sie sogar titelgebend und Synonym für nicht gerade weltoffenes, ja, provinzielles Denken, und dem entspricht, dass auch der erzählerische Horizont hier ziemlich eng gefasst ist und auch die literarischen Mittel keinen Höhenflug bewirken können.

Plot und Figuren sind überschaubar: eine unscheinbare Kleinstadtgesellschaft, in der nach dem üblichen Muster Geschäfte und Politik gemacht werden, nichts von Aufregung also, wäre da nicht ein Asylwerberheim, in dem jugendliche Syrer und Afghanen Aufnahme finden.

Die Guldenberger sprechen von "Zigeunern", wenn sie Migranten meinen, "nicht ganz schwarz, mehr so arabisch dunkel", kann man am Stammtisch der vermutlich einzigen Gastwirtschaft im Ort hören, wo es außer Bier und Gulaschsuppe nichts gibt. Man hat sich daran gewöhnt – aber dass der Bürgermeister nichts gegen die Aufnahme der Asylwerber unternommen hat, dass der Pfarrer und ein paar beherzte Helferinnen sie sogar aktiv unterstützen, empört die Einwohner.

"Die gehören nicht hierher, die sind keine Deutschen!" Schon fliegen Pflastersteine ins Wohnzimmer, werden Reifen aufgestochen, und auf der Haustür des Bürgermeisters steht neuerdings "Türkenwichser", weil er sich "ein bisschen zu sehr für die "Zigeuner" einsetzt.

Brennpunktthema als Fokus

Die Frontlinie läuft mitten durch Politik und Kirche, schließlich sitzt der prononcierteste Ausländergegner sowohl im Stadt- als auch im Pfarrkirchenrat und macht Bürgermeister und Pfarrer das Leben schwer. Letzterer muss sich gar anhören, dass er "aus unserer Kirche eine Moschee machen" wolle …

Noch mehr aber verkörpert die Skatrunde älterer Herren, die regelmäßig in der öden Kneipe zusammenkommt, die Vox populi, so wird eben in der Provinz nicht nur gedacht, sondern auch geredet, erst recht, als plötzlich das Gerücht umgeht, einer der jugendlichen Asylwerber hätte ein Mädchen aus Guldenberg vergewaltigt.

Das verschärft die bekannten Ressentiments gegen die, "die unsere Kultur zerstören wollen", schnell ist von "Bürgerwehr" die Rede: "Lasst es uns doch selber in die Hand nehmen, wenn die Polizei es schon nicht hinkriegt."

Die Polizei kann freilich wenig ausrichten, oder besser gesagt, der zuständige Polizeiobermeister will dazu keine Meinung haben, weil das seiner Karriere schaden könnte. Überhaupt soll alles in Guldenberg bleiben, wie es immer war: "ruhig, vertraut und gemütlich".

An der Oberfläche

Dann wäre noch ein Fabrikant, der Arbeitskräfte braucht und die jungen Asylsuchenden gerne ausbilden möchte. Obwohl der größte Arbeitgeber, ist er alles andere als wohlgelitten im Ort: Er hat gerade seine in Grünland erbaute Luxusvilla bezogen, dabei steht er eigentlich vor dem wirtschaftlichen Ruin, nachdem er Opfer eines rumänischen Betrügers wurde. Es droht also noch öder zu werden in Guldenberg …

Christoph Hein gilt – zu Recht – als "Chronist des deutschen Ostens", und Ausländerfeindlichkeit ist bekanntermaßen ein ostdeutsches Phänomen, also war es nur eine Frage der Zeit, dass der Autor dieses Brennpunktthema in den Fokus seiner "Geschichtsschreibung" rücken würde.

Aber dieser Roman ist wie aus allbekannten Medienberichten zusammengestrickt. Kaum eine der Figuren ist vielschichtig gezeichnet, alles bleibt mehr oder weniger bedeutungsschwer an der Oberfläche.

Der Klischeeverdacht kommt nicht von ungefähr, zumal die Literatur Position bezieht, und wenn es nur die ist, dass die "Guten" (um nicht zu sagen, die "Gutmenschen") hier auf verlorenem Posten stehen. "Ich bitte Sie von Herzen", sagt der Pfarrer zu seinem Widersacher, "zerstören Sie nicht unsere Gemeinschaft."

Klischees von Gut und Böse

Dass sich mit solchen Sätzen in der Wirklichkeit wenig ausrichten lässt, liegt auf der Hand. Zwei Seiten weiter mag einem der Pfarrer zwar aus der Seele sprechen, wenn er dem intriganten Vorsitzenden des Pfarrkirchenrates dann doch mit aller Deutlichkeit sagt: "Sie sind ein Arschloch", aber das passt dann eben auch ins Klischee von Gut und Böse. So scheint auch der förmlich in der Luft hängende Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim ebenso unausweichlich wie eine Messerstecherei zwischen Afghanen und Syrern …

Vermutlich hätte der Roman als zusätzliche Ebene eine Geschichte gebraucht, die den eng begrenzten und so leicht durchschaubaren Romanstoff unterläuft, vor allem Figuren, die ein Eigenleben haben. Stattdessen bleibt alles beim Kolportagehaften, so als wären hier vorgefertigte Bausteine zusammengefügt worden.

Mit einfachen Mitteln und leider wenig lebendigen Dialogen heruntererzählt, wirkt der Roman nicht nur inhaltlich eindimensional, auch die betont nüchterne, fast kunstlose Sprache nimmt einen nicht wirklich mit. Man liest sich quasi die Handlung entlang und entdeckt darin nichts, was man nicht ohnehin erwarten würde. (Gerhard Zeillinger, ALBUM, 3.7.2021)