Lois Weinbergers "Green Man" von 2004: Natur und Kultur waren für den Künstler nichts Dichotomes. Und vor dem Hintergrund aktueller Klimadiskurse ging es ihm um einen Paradigmenwechsel.

Foto: Paris Tsitsos

Schon auf dem Weg zum Belvedere 21 machen sich die Gitterstäbe des Wild Cube bemerkbar. Hinter einer Baumgruppe erhebt er sich über die Gartenmauer des Museums. Aus dem Käfig wachsen Äste wild durcheinander. Doch nicht die Natur wird hier eingesperrt, sondern der Mensch. Die Skulptur stellte der visionäre Konzeptkünstler, Pionier einer künstlerischen Ökologie und selbsternannte Feldforscher Lois Weinberger 2012 am Rande des Gartens auf. Zehn Jahre später wuchert darin ein Pflanzenbiotop, Büsche und junge Bäume haben den Steinboden durchbrochen und wachsen zur lebendigen Skulptur.

Dem im Frühjahr 2020 unerwartet verstorbenen, 1947 geborenen Künstler wird jetzt die Ausstellung Basics im Untergeschoß und im angrenzenden Skulpturengarten des Belvedere 21 gewidmet. Als passender Nachfolger ziehen seine Werke nach jenen von Joseph Beuys hier ein. Doch anders als der deutsche Universalkünstler förderte der aus Tirol stammende Weinberger nicht die kontrollierte Begrünung, sondern vielmehr den Wildwuchs der Vegetation.

Begriff Garten mied er

Den Begriff des Gartens mied er, Natur und Kultur waren für ihn nichts Dichotomes. Auch vor dem Hintergrund aktueller Klimadiskurse ging es ihm nie um eine Versöhnung, sondern um einen Paradigmenwechsel.

Es ist die letzte Schau, die Weinberger noch vor seinem Tod erarbeitet und inhaltlich zusammengestellt hat. Seine Frau Franziska Weinberger und der Kurator Severin Dünser konzipierten die Ausstellung nach seinen Wünschen, die über 100 Werke von den 1970er-Jahren bis 2020 zeigt, der Großteil war bisher noch nie in Österreich zu sehen.

In die finale Gestaltung – die Schau ist bewusst nicht als Retrospektive angelegt – konnte sich der Künstler Weinberger selbst nicht mehr einbringen. Die sehr karge, reduzierte und fast schon schüchterne Präsentation hätte ihm aber bestimmt zugesagt. Wie der Titel der Schau deutlich macht, geht es hier durchaus um das Wesentliche. Dies spiegelt sich auch in der zentralen Arbeit mit dem Titel La Gomera wieder: Aus aufgeschütteten Kieselsteinen wächst ein trockener Strauch, auf dessen Äste getragene Schuhsohlen gesteckt sind, die der Künstler tatsächlich auf der spanischen Insel gefunden hat.

Foto: Dieter Schwerdtle

Immer wieder schafft es Lois Weinberger, in seinen Werken aus Altem etwas Neues zu schaffen – und so eigene Kreisläufe zu erzeugen, aber auch offenzulegen. So ließ er in der Installation Laubreise, die er 2009 mit seiner Frau für den österreichischen Pavillon auf der Venedig-Biennale schuf, aus Laub frischen Humus entstehen. Oder aus Erde und Holz kleine, Erdmännchen-artige, geknetete Figuren, die hier wie Mumien schlummern.

Bei der Documenta

Aber es ist nicht nur die Natur, die Weinberger zum Protagonisten seiner Kunst machte. Debris Field wurde erstmals im Jahr 2017 bei der Documenta in Athen und Kassel gezeigt – und hat hier nun Premiere. In der Installation legt Weinberger tatsächlich die Geschichte in Form von knapp tausend Fundstücken offen, die er aus dem Bauernhof seiner Eltern in Stams geborgen hatte.

In einem der zwei Kuben, die der Ausstellung als Kabinette und Videonischen dienen, werden diese Objekte wie in einem Setzkasten sortierte Artefakte aufbereitet: Briefe, Streichholzschachteln, Rosenkränze, Schuhe, Spielkarten und auch eine in einem Mauerwerk gefundene Katze liegen in Vitrinen. Erneut gießt er Vorgefundenes in eine neue Form, ohne Ursprüngliches zu verändern.

Mit dieser subtilen und poetischen Methodik, seine Kunstwerke in die Umwelt einzuschreiben, wurde der Künstler bei seiner ersten Documenta-Teilnahme 1997 international bekannt: Am Kasseler Bahnhof bepflanzte er ein stillgelegtes, 100 Meter langes Bahngleis mit diversen Neophyten, also dort nicht heimischen, sondern aus Süd- und Südosteuropa "eingewanderten" Pflanzen.

Mit Erde vollgepackt

Durch diese Besiedelung von Brachflächen sorgte Weinberger vor allem im urbanen Raum für Wanderbewegungen und neue Lebensräume. Eine durchaus politisch gemeinte Anspielung, die sich auch in den Portable Gardens im Außenraum des Museums findet. Die bis oben hin mit Erde vollgepackten karierten Plastiktaschen beziehen sich auf Migrationsströme.

Sie warten darauf, mit verstreuten Pflanzensamen beheimatet zu werden – Platz ist genug. Zwar sei Weinberger ein sehr politischer Mensch gewesen, erinnert sich Franziska Weinberger. Aktivistisch war er dennoch nie. "Seine freieste Form, sich auszudrücken, war stets die Kunst."

Der grüne Mann

Auch Weinbergers mystische Seite darf in der Schau natürlich Platz haben: Der Bischof ist eine Art Naturtotem aus einer Leiter, einem umgehängten Tuch und einer Wurzel als Gesicht (plus Gesichtsmaske!), vor dem man sich dann auch fast verneigen möchte.

Unzählige bisher nicht ausgestellte Zeichnungen oder Fotografien führen zu Weinbergers letzter Serie: Aquarellblätter namens Green Man – auf das wiederkehrende Symbol des "grünen Mannes" verweisend – mit grünen Skeletten blicken wie Vorboten von der Wand. Trotz ihrer Endlichkeit scheinen sie zu tanzen.