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Der irakische Premier Kadhimi bei Joe Biden im Weißen Haus.

Foto: Foto: Reuters / Evelyn Hockstein

Die Formulierung ist vage, aber das ist volle Absicht: Bis Ende des Jahres 2021 würden sich im Irak keine US-Truppen mit Kampfmission mehr aufhalten, kommunizierten US-Präsident Joe Biden und der irakische Premier Mustafa al-Kadhimi nach ihrem Treffen im Weißen Haus am Montag. Kein Wort fiel darüber, ob und wann ein weiterer Abzug der verbliebenen etwa 2.500 US-Soldaten und -Soldatinnen geplant ist. Ihr Einsatz wird künftig jedoch explizit unter dem Titel "Training, Beratung, Assistenz und Geheimdienstzusammenarbeit" laufen – was ja bereits des Längeren die Hauptaufgabe der US-Armee im Irak ist.

Es ist der Versuch einer Quadratur des Kreises und vielleicht sogar ein bisschen Etikettenschwindel: den Einsatz beenden und dem irakischen Premier, der sich mit den auch politisch starken Iran-freundlichen irakischen Milizen auseinandersetzen muss, vor den Parlamentswahlen im Oktober einen Erfolg gönnen – und gleichzeitig im Irak bleiben. Kadhimi selbst verhehlt nicht, dass die irakische Armee noch auf US-Hilfe angewiesen ist. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) meldet sich wieder vermehrt mit Angriffen zu Wort. Auch die Nato erweitert im Irak ihre Trainingsmission, um ein Szenario wie nach 2011 zu verhindern.

Zusammenbruch der Armee

Auf den großen Abzug der US-Kampftruppen Ende des Jahres 2011 – sie waren im März 2003 mit einer internationalen Koalition einmarschiert und hatten Saddam Hussein gestürzt, worauf der Irak in einen Bürgerkrieg rutschte – folgten die Degeneration und letztlich der teilweise Zusammenbruch der irakischen Armee. Angesichts des Vormarschs des IS ab 2013 war sie völlig hilflos. Nach der Eroberung der Großstadt Mossul durch den IS im Juni 2014 startete US-Präsident Barack Obama eine internationale Anti-IS-Koalition und schickte US-Kampftruppen zurück in den Irak.

Nachdem der "Staat" der Terrormiliz besiegt war, wurden bereits unter Präsident Donald Trump die Truppen reduziert und deren Präsenz in einigen wenigen Militärbasen in Erbil, Bagdad und der Provinz Anbar konsolidiert. Trump wollte ja eigentlich von überall auf der Welt, also auch aus dem Irak, komplett abziehen. Als ihn seine Generäle vom Gegenteil überzeugten, plauderte er aus, was auch jetzt noch gilt: Die Amerikaner bleiben nicht nur wegen des IS im Irak, sondern auch wegen der etwa 900 in Nordsyrien stationierten US-Soldaten – und außerdem, um von dort "den Iran zu beobachten", wie Trump es sagte.

Hammer und Amboss

Das wissen die Milizen, von denen manche – nicht alle – Iran-loyal sind, nur zu genau. Erste Reaktionen zeigen, dass ihnen die Umetikettierung der US-Mission nicht reicht. Nachdem die USA zu Jahresbeginn 2020 den iranischen Revolutionsgardengeneral Ghassem Soleimani und den irakischen Milizenführer Abu Mahdi al-Mohandis bei einem Angriff in Bagdad getötet hatten, forderte das irakische Parlament den kompletten US-Abzug. Die Milizen stellen dort den zweitgrößten politischen Block.

Der Irak ist Schauplatz der US-iranischen Auseinandersetzung: Allein seit Jahresbeginn wurden US-Ziele 27-mal von irakischen Milizen, die als iranische Stellvertreter gelten, angegriffen. Einige Male schlugen die USA hart zurück. Kadhimi steckt zwischen Hammer und Amboss: den USA und dem Iran, der auf dem Umweg über die Milizen bei der Bekämpfung des IS ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt hat. Eine Erleichterung der Spannungen erhoffte sich Bagdad bei einem Erfolg der US-iranischen Atomverhandlungen in Wien: Auch da sieht es im Moment eher schlecht aus.

Humanitäre Hilfe

Für Kadhimi war es die vierte und letzte Runde der strategischen Gespräche mit den USA, in die auch die kurdische Regionalregierung in Erbil eingebunden war. Er bringt aus Washington auch eine Zusage humanitärer Hilfe in der Höhe von 155 Millionen US-Dollar (131 Mio. Euro) und einer halben Million Impfdosen mit nach Hause. Der Irak erlebt soeben die stärkste Covid-Welle überhaupt. Die täglich registrierte Zahl der Neuinfizierten ist so hoch wie noch nie seit Ausbruch der Pandemie, vor drei Tagen etwa waren es mehr als 7600 (Bevölkerung ca. 41 Millionen), mit einer hohen Dunkelziffer.

Außerdem werden die USA die irakische Uno-Mission bei der Wahlbeobachtung der vorgezogenen Neuwahlen im Oktober unterstützen. Kadhimi hatte im Mai 2020 eine Regierung gebildet, nachdem Premier Adel Abdul Mahdi nach Massenprotesten Ende November 2019 zurückgetreten war. Eigentlich sollten die Wahlen bereits im Frühjahr stattfinden, wurden jedoch wegen der Pandemie verschoben.

Bei der Protestbewegung und ihren Unterstützern hat Kadhimi massiv an Ansehen verloren, was er bei den Wahlen zu spüren bekommen könnte: Er konnte die Gewalt gegen sie nicht, wie versprochen, stoppen. Etwa 600 Demonstranten wurden seit Herbst 2019 getötet, eine Welle von Verschleppungen und Morden an Aktivisten und Aktivistinnen erinnert an die finstersten Zeiten: Erst vor drei Tagen wurde in Basra Ali Karim erschossen, er ist einer von mindestens dreißig Mordopfern. Die Proteste richten sich gegen die Politik der konfessionell geprägten, vor allem schiitischen Parteien, die immer nur die eigene Klientel bedienen. (Gudrun Harrer, 28.7.2021)