Die Phrase "Covid-19 wirkte wie ein Brennglas auf unsere Gesellschaft" war schon letzten Sommer ziemlich ausgelutscht, und doch steckt in ihr ein Fünkchen Wahrheit. Die Bremer Politologin Gundula Ludwig bemerkte bereits vor einem Jahr an: "Wir haben die ökologische Krise, die Krise der Demokratie, die Krise der sozialen Reproduktion, die Care-Krise, und auf diese multiple Krise setzt sich nun auch noch die Corona-Krise drauf. Ich würde aber sagen, dass wir es dabei mit einer Verdichtung von krisenhaften Momenten zu tun haben, die eigentlich schon vorher die Normalität in unserer Gesellschaft waren."

Dass ein Weiterleben wie bisher nicht mehr möglich sei, darin waren sich Intellektuelle und das Feuilleton bereits zu Beginn der Pandemie einig.

Die Donut-Ökonomie: Innerhalb planetarer und sozialer Grenzen befindet sich der sichere und gerechte Handlungsraum für die menschliche Zivilisation.
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Aber was soll denn nun stattdessen kommen? Der Kapitalismus wird in unserer globalisierten Gesellschaft nicht nur als Status quo ungefragt akzeptiert, sondern oftmals sogar als "natürliche Ordnung der Dinge" bezeichnet. Mögliche Gegenmodelle, die mehrere der oben genannten Krisen zu lösen versuchen, entwickelt etwa das Next Economy Lab (kurz Nela), dessen Co-Gründerin Hannah Strobel in der aktuellen Episode des Podcast "Gemeinwohl-Geplauder" zu Gast ist.

Nela entwickelt und realisiert gemeinsam mit Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft Konzepte für eine sozial gerechte, klimapositive und kooperative Wirtschaft. Der wichtigste Aspekt sei Strobel zufolge, dass eine ökologisch und sozial verträgliche Produktionsweise geschaffen wird. Auch sie sieht genau jetzt die Zeit gekommen, um solche Modelle in die Tat umzusetzen, denn wenn das Bedürfnis nach Gemeinschaft wächst, könnten gemeinschaftsgetragene Unternehmensformen die Antwort sein. "Sie stellen das Gemeinwohl in den Mittelpunkt und weniger die Gewinne und Kapitalerträge", sagt die Nachhaltigkeits- und Transformationsforscherin.

Gemeinwohlbilanz und Donut-Ökonomie

Aber wie kann sich ein solches Unternehmen überhaupt auf einem Markt behaupten, der von Profit und entsprechenden Bilanzen getrieben wird? Ist der Kapitalismus als System überhaupt so reformierbar, dass die Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen kann?

Eine Möglichkeit ist das Erstellen einer so genannten "Gemeinwohlbilanz": Eine Organisation erstellt einen Gemeinwohlbericht, in dem die Unternehmensaktivitäten in Bezug auf zwanzig vordefinierte Themen beschrieben wird. Jedes Thema beschreibt, wie die einzelnen Werte gegenüber den jeweiligen Berührungsgruppen gelebt werden. Danach erfolgt ähnlich einer Wirtschaftsprüfung auch hier ein externes Gutachten vor der Veröffentlichung. Prominente Beispiele sind Sonnentor, aber auch eine Münchner Bank.

Einen noch stärkeren Fokus auf den Bereich Ökologie setzt ein anderes Modell namens "Donut-Ökonomie". Diese geht von planetaren (z. B. Klimawandel) und sozialen Grenzen (z. B. Gesundheitswesen) aus und verortet darin den sicheren und gerechten Handlungsraum für die menschliche Zivilisation. Am anderen Ende des Spektrums liegt das Fundament von Gesellschaft und (Zusammen-)Leben, wie Nahrung und Wohnen. Das Spannungsfeld dazwischen bildet den sicheren und gerechten Raum, in dem es sich für Natur und Menschheit zu leben lohnt. Diese Bereiche ähneln in der visuellen Darstellung einem Donut.

Recyceln, Reparieren und Teilen statt Besitzen

Und tatsächlich: Die Stadt Amsterdam hat kurz nach Ausbruch des Coronavirus beschlossen, das Wirtschaftsleben der Stadt nach Vorbild der Donut-Ökonomie nachhaltiger für Menschen und Umwelt zu gestalten und so das System grundlegend zu verändern. Die Strategie der niederländischen Hauptstadt lautet fortan: Recyceln, Reparieren und Teilen statt Besitzen. Die Stadt Wien hat zuletzt 2019 laut über ein solches Modell nachgedacht, in der aktuellen Krisenzeit wurde es aber merkbar still.

Es stellt sich die Frage: "Haben wir nicht Themen, die dringender unsere Aufmerksamkeit brauchen?" Und ja, Pflegereform, Rekordarbeitslosigkeit und der andauernde Kampf gegen die Pandemie scheinen wichtiger als ein gesellschaftliches Neudenken. Dabei wären diese Bereiche ja von einer systemischen Neuausrichtung auch betroffen – und wohl durchaus im positiven Sinne.

Die Vorboten der Klimakatastrophe, die in den letzten Wochen weltweit wüten, zeigen nicht zuletzt in Deutschland, dass die Nebenprodukte unseres auf monetären Profit und wirtschaftliches Wachstum ausgerichteten Systems auch nicht vor Ländern mit hohem Bruttoinlandsprodukt, also den Galionsfiguren dieses Systems Halt machen. Die Corona-Krise hat darüber hinaus in aller Deutlichkeit gezeigt, dass gerade jene Mitglieder unsere Gesellschaft, von denen wir in Extremsituationen abhängen – also die tapferen Menschen in Pflegeberufen oder dem Handel –, nicht an dem Profit und Wachstum partizipieren.

Anlass gäbe es also genug, das System grundlegend zu ändern. Und vielleicht freuen wir uns in einigen Jahren, wenn die Klimakatastrophe so richtig ausbricht, dass wir dieses Mal darauf vorbereitet waren. Wer weiß? (Fabian Scholda, Gregor Ruttner-Vicht, 2.8.2021)