Auch heimische Labels wie "Margaret and Hermione" setzen in ihren Kampagnen auf Diversität.

Foto: Vrinda Jelinek

Eine Frau in einem orangefarbenen Hosenanzug lächelt in die Kamera, das Foto daneben zeigt eine andere Frau in einem gestreiften Rock vor einer Wand, auf der "Make people feel loved today" steht. Auf den ersten Blick könnte das "midsizecollective" ein Instagram-Account zur Mode-Inspiration sein, wie es sie zu Tausenden gibt. Bei näherem Hinsehen fällt aber auf, dass die Frauen nicht so schlank sind wie die meisten, die als Influencerinnen ihr Brot verdienen.

In der Accountbeschreibung steht: "The original home of not petite but not plus-sized style" (frei übersetzt: Hier ist der Stil zwischen kleinen und Übergrößen zu Hause). Die Gründerin der Seite, Anushka Moore, gehörte zu den Ersten, die bewusst begannen, Modeinspiration für Frauen zu (re-)posten, die im Größenspektrum der Modeindustrie zwischen der Konfektionsgröße 38 und 44 liegen – was etwa in Österreich die überragende Mehrheit der Frauen betrifft.

"Midsizecollective" ist ein Instagram-Account, der Frauen zwischen den Konfektionssgrößen 38 und 44 inspirieren möchte

Mittlerweile sind unter dem Hashtag #Midsize nicht nur auf Instagram, sondern speziell auch im auf Kurzvideos spezialisierten sozialen Netzwerk Tiktok unzählige Beiträge zu finden. 1,2 Miliarden Mal wurden Videos mit dem Hashtag "Midsize" bereits aufgerufen.

Mehr Vielfalt

Der Mid-Size-Trend in den sozialen Medien hat seine Wurzeln im realen Frust vieler Konsumentinnen: Die Modebranche wirbt noch immer vorwiegend mit Models, die weitaus schlanker sind als die meisten Frauen in der Realität. Umso willkommener war es demnach vielen, dass seit einiger Zeit auf Laufstegen und in Kampagnen regelmäßig auch "Plus-Size"-Models zu sehen sind.

Größere Konfektionen werden nicht mehr so stiefkindlich behandelt wie noch vor zehn Jahren, Modehäuser erweitern ihre Größentabellen. Unrealistische Schönheitsideale wurden auf Druck der Konsumentinnen auch von der Modeindustrie hinterfragt, wie etwa das im Juni verkündete Aus für die "Victoria’s Secret"-Engel zeigte. Auch Modehäuser begreifen, dass sich Repräsentation besser verkauft als unerreichbare Ideale.

Kollektionen werden immer häufiger mit Adjektiven wie "inklusiv", "divers" oder "body positive" betitelt. Im Zuge dieser Entwicklungen werden auch "Plus-Size"-Models wie Tess McMillan in der Modewelt immer häufiger behandelt wie ihre schlankeren Kolleginnen. McMillan sagt aber auch: Die Auftragslage ist überschaubarer als die von Kolleginnen mit Größe 34.

"Echte Plus-Size"

Den Eingang der "Plus-Size" und "Body Positivity" in den Mainstream unterstreicht auch ein Beispiel aus der Welt der Castingshows: So wurde selbst in Heidi Klums Nachwuchsmodel-Show Germany’s Next Topmodel das "Curvy Model" Dascha Carriero heuer Zweitplatzierte. Im Jahr 2020 schickte außerdem Chanel zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt ein "Plus-Size"-Model bei der Modewoche in Paris auf den Laufsteg, die 27-jährige Jil Kortleve.

Jil Kortleve bei der Modewoche in Paris

Diese Entwicklung hat allerdings einen Haken: Beide genannten Models tragen Größe 40/42, was eigentlich einer Mid-Size entspricht. So begrüßenswert die Sichtbarkeit von mehrgewichtigen Frauen in der Mode ist, sie bekommt dadurch einen fahlen Beigeschmack. Dadurch, dass Mid-Size-Models als "Plus-Size"- oder "Curvy Models" vermarktet werden, fühlen sich jene Frauen, die eine "echte" "Plus-Size" (also größer als 44) tragen, erst recht wieder nicht repräsentiert.

Um auf die Fettfeindlichkeit von Luxuslabels aufmerksam zu machen, startete die Influencerin und Unternehmerin Katie Sturino deshalb erst kürzlich den Hashtag #fatbabesinluxury, also "fette Frauen tragen Luxusmode". In einem Posting forderte sie die großen Modehäuser dazu auf, verstärkt mit Models und Influencerinnen zusammenzuarbeiten, die tatsächlich in die Kategorie "Plus-Size" fallen.

Label-Lügen

Der andere Effekt ist jener, dass Frauen, deren Körperformen dem Durchschnitt entsprechen, eingeredet wird, dass sie "Plus-Size"-Trägerinnen seien oder sie sich gar nicht in der Mode repräsentiert fühlen. Die Absurdität dieser Situation zeigt das britische Model Charli Howard auf. Nachdem sie im Jahr 2015 von ihrer Modelagentur gefeuert wurde, da sie "zu dick" sei, schrieb sie in einem Posting auf Facebook: "Ich weigere mich, mich täglich für meinen Körper zu schämen und mich anzustrengen, lächerliche Schönheitsstandards zu erfüllen."

Damals trug sie Größe 36 und aß laut eigenen Angaben mit Orangensaft getränkte Watte, um ihr Gewicht zu halten. Daraufhin begann Howard, sich als Mid-Size-Model zu versuchen. In Interviews mit dem Telegraph und der Times beschrieb die 30-Jährige die Schwierigkeit, als Frau mit Größe 38/40 zu modeln.

Für die Standardjobs sei sie als zu "dick" empfunden worden, bei "Plus-Size"-Castings habe sie aber in ihren Augen auch nichts verloren gehabt. Sie gehörte zu den Ersten, die die fehlende Repräsentation der Mid-Size in der Modewelt bemängelten. Howard wurde für die Weigerung, ihren Körper der Industrie anzupassen, belohnt: Sie zierte unter anderem die Vogue und gründete ihr eigenes Label.

Inklusion, bitte!

Am Ende bleibt allerdings die Frage: Wieso sträubt sich die Industrie dagegen, Mode zu machen, die die Diversität und Vielfältigkeit ihrer Konsumentinnen berücksichtigt? Wieso werden die Versuche bloß oberflächlich und halbherzig umgesetzt?

Die Debatte um die Mid-Size zeigt: Die Branche arbeitet an den Bedürfnissen jener vorbei, die Mode tatsächlich kaufen und tragen. In den sozialen Medien wird der Frust darüber immer lauter.

Wenn sich nicht bald etwas ändert, werden die großen Labels jüngere Zielgruppen nicht mehr erreichen. Denn der Markt der Mitte ist breiter als gedacht – und zwar nicht nur um die Hüften. (Antonia Rauth, RONDO, 6.8.2021)