In "Temple Père", dem spektakulären zweiten Teil von Phia Ménards Trilogie, errichten anonyme Arbeiter unter den herrischen Anweisungen ihrer Gebieterin ein himmelhohes Gebäude.

Foto: Christophe Raynaud de Lage

Vor zwei Jahren begeisterte Phia Ménard das Festwochenpublikum mit ihrem Solo Maison Mère, in dem sie den Parthenon der Akropolis aus riesigen Kartonschablonen nachbaute. Die antike Immobilie, Symbol der Demokratie, stand dabei für die Fragilität Europas. Sie bildet nun den Ausgangspunkt einer Trilogie, mit der die Wiener Festwochen ihren zweiten Programmteil starten.

STANDARD: Was steht am Beginn Ihrer Arbeit – die Idee oder ein ästhetisches Verfahren?

Ménard: Im Fall der Trilogie ist das klar: Es begann mit einem Auftragswerk für die Documenta in Kassel 2017. Kassel ist die Heimat der Brüder Grimm, also wollte ich eine Art Märchen kreieren, das die Geschichte Europas erfasst. Herausgekommen ist ein Parthenon by Ikea. Als ich vor zwei Jahren in Wien war, war mein erster Weg ins Kunsthistorische Museum zu Bruegels Gemälde Turmbau zu Babel. Auch das ist die Geschichte Europas: Jemand will den Himmel erreichen.

STANDARD: Die Bauten auf der Bühne sind komplex, arbeiten Sie mit Architekten zusammen?

Ménard: Nein, alles ist Trial and Error. Jeden Morgen wird der Karton hergerichtet. Die Crew entscheidet, wie der Abend verläuft. Wir gehen da wie Kinder ran. Auch die Stäbe sind keine Prototypen, sondern ganz normale Fensterstützen.

STANDARD: Sie kommen vom Zirkus. Inwiefern spielt das noch eine Rolle?

Ménard: Ich habe mit Jonglage begonnen, habe also immer mit Objekten auf der Bühne gearbeitet. Zuerst mit Bällen, aber dann auch mit Kakteen oder mit Eiswürfeln. Aber das Virtuositätsfach war mir irgendwann zu eng, und ich habe begonnen, die Arbeit mit Objekten weiterzuentwickeln. Bis ich bei Karton gelandet bin, war es ein langer Weg.

STANDARD: Karton knickt ein, Eis schmilzt: Ist es wichtig, dass das Material sich verändert?

Ménard: In meiner Arbeit ist Transformation die Basis. Die Veränderbarkeit. Das hat auch mit meiner eigenen Verwandlung vom Mann zur Frau zu tun. Letztlich ist auch der aus Holzfassaden gebaute Babel-Turm nur ein Kartenhaus. Ich nenne es immer "Game of Dicks". Die Hybris, zum Himmel durchdringen zu wollen, ist ja nur eine architektonische Demonstration von Macht – siehe die Geschichte der New Yorker Twin Towers.

In "Temple Père", dem spektakulären zweiten Teil von Phia Ménards Trilogie, errichten anonyme Arbeiter unter den herrischen Anweisungen ihrer Gebieterin ein himmelhohes Gebäude.
Foto: Christophe Raynaud de Lage

STANDARD: In Ihren Performances wird gerackert – ist Ihnen körperliche Hochleistung eine Bedingung?

Ménard: Also es gibt auch "bequemere" Arbeiten wie die Wind-Show L’après-midi d’un foehn. Aber es stimmt, ich mag es gern, stark zu sein. Ich will zeigen, dass ich lebe!

STANDARD: Gab es schon "misslungene" Abende – insofern, als das Haus nicht stabil genug war?

Ménard: Ja. Aber da ich vom Zirkus komme, gebe ich eben nie auf. Manchmal entsteht in Maison Mère kein richtiges Haus. Wenn es am Ende nicht gut ist, ist es aber nicht das Ende. Das ist mein Credo.

STANDARD: Worum geht es in Teil drei, einen Neuanfang?

Ménard: Rencontre Interdite habe ich im Lockdown kreiert, es ist aus der Reaktion auf die in Frankreich geschlossenen Theater entstanden. Es war, als würde ein Tor zugehen. (INTERVIEW: Margarete Affenzeller, 21.8.2021)