Die Bilder aus Afghanistan lassen sie nicht kalt, auch wenn ihr Ressort vor einem raschen Erstarken der Taliban gewarnt hat: Ministerin Klaudia Tanner.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Das Bundesheer wird mit seinen Einsätzen während der Corona-Pandemie verstärkt öffentlich wahrgenommen, was auch zu einem Imagegewinn geführt hat. Im Hintergrund hat die Verteidigungsministerin ein breit angelegtes Beschaffungsprogramm abgewickelt – es reicht von sechs Reisebussen über 30 Radpanzer und 55 geschützte Fahrzeuge vom Typ Dingo bis zur Modifikation von 4.850 Sturmgewehren und dem Kauf von 45.000 ABC-Schutzanzügen. Bis vor wenigen Tagen gab es auch kaum Aufmerksamkeit dafür, dass insgesamt 750 Bundesheersoldaten in Afghanistan waren.

STANDARD: In den vergangenen Tagen galt es als große Überraschung, dass die Taliban so schnell in Kabul waren – waren Sie auch überrascht?

Tanner: Das Tempo hat die gesamte Welt überrascht. Aber in der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau vom März 2021 haben unsere Experten klar gesagt: Wenn die Nato hinausgeht, dann wird das schnell zu einer Eskalation führen. Für uns war daher die erste Priorität, unsere Soldaten sicher nach Österreich zurückzubringen – unser letzter Soldat ist am 18. Juni sicher in Österreich angekommen. Zudem unterstützen wir mit unseren Jagdkommando-Soldaten, wo es notwendig ist, damit österreichische Zivilisten zurückkehren können.

STANDARD: Derzeit wird diskutiert – und von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen befürwortet –, ob man den sogenannten Ortskräften, die europäischem Militär und europäischen Hilfsorganisationen in Afghanistan zugearbeitet haben, in Europa Zuflucht gewähren soll. Die ÖVP teilt diese Meinung nicht – wo stehen Sie als Ministerin?

"Die strategische Reserve des Bundesheers ist nicht mehr so gefordert wie vor Monaten."Klaudia Tanner
Foto: Regine Hendrich

Tanner: Das österreichische Bundesheer hat sehr gut mit der deutschen Bundeswehr zusammengearbeitet und selber keine Ortskräfte gehabt. Die Bundeswehr weiß, wen sie unter Vertrag hatte und wen sie in Sicherheit bringen muss – und das ist ja im Laufen.

STANDARD: Ist es nicht ein fatales Signal an Helfer in anderen Ländern – etwa in Mali –, wenn wahrgenommen wird, dass lokale Helfer im Ernstfall im Stich gelassen werden?

Tanner: Die einzelnen Missionen sind miteinander nicht vergleichbar. Und ich muss darauf hinweisen, dass wir als Verteidigungsressort auch niemals dafür zuständig sind, wem, wann und aus welchem Grund vielleicht Asyl gewährt wird. Wir können da nicht einfach beliebig Leute herausholen.

STANDARD: Man muss aber damit rechnen, dass demnächst wieder mehr Flüchtlinge kommen. Bereitet sich das Bundesheer dafür parallel zu den ja weiter aufrechten Corona-Einsätzen vor?

Tanner: Wir unterstützen die Behörden in Assistenz: Bei Corona sind es nur mehr 214 Soldatinnen und Soldaten, die zur Unterstützung der Gesundheitsbehörden tätig sind – die strategische Reserve des Bundesheers ist da nicht mehr so gefordert, wie sie das noch vor ein paar Monaten war. Parallel wurde unsere Assistenz an der Grenze angefordert – es sind zum jetzigen Zeitpunkt 1.078 Soldaten im sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz. Daneben ist weiter der Einsatz zur Botschaftsbewachung notwendig – mit 222 Soldaten.

STANDARD: Und das neben der laufenden Neuorganisation und der Hubschrauberbeschaffung, die ja auch noch nicht abgeschlossen ist?

Tanner: Es hat mich selbst überrascht, wie gut das läuft, wenn alles generalstabsmäßig geplant ist – und man gleichzeitig ad hoc reagieren muss wie bei den vielen Katastropheneinsätzen, die ja jeweils plötzlich dazukommen.

STANDARD: Die Hubschrauberbeschaffung ist aber nicht gar so plötzlich: Da fiel die Typenentscheidung vor fast einem Jahr, der Zulauf soll im nächsten Jahr sein – aber der eigentliche Kaufvertrag ist noch nicht unterschrieben?

Tanner: Wir befinden uns da in der finalen Phase – das ist ja nicht so einfach, wie wenn man in einen Supermarkt einkaufen geht und mit dem Gerät wieder herauskommt. Wir haben mit dem italienischen Innenministerium das Memorandum of Understanding und einige technische Ausarbeitungen bereits unterschrieben. Es wurde die Ausbildung der österreichischen Piloten und der Techniker auf dem neuen Gerät mit unserem Partner Italien abgestimmt, und es ist das Zulassungsverfahren über die italienische Militärluftfahrt abgeschlossen. Wir sind im Zeitplan, die ersten Hubschrauber werden im Jahr 2022 zulaufen.

STANDARD: Nun handelt es sich hier ja um ein Government-to-Government-Geschäft – da hat die österreichische Wirtschaft, anders als seinerzeit beim Eurofighter, nichts davon?

"Da sieht man, dass Beschaffungsvorgänge für die regionale Wirtschaft etwas bringen."Klaudia Tanner
Foto: Regine Hendrich

Tanner: Die regionale Wertschöpfung ist etwas sehr Wichtiges, auch bei Government-to-Government-Geschäften: Unsere Experten sind laufend mit der Wirtschaftskammer in Kontakt. Bei der Beschaffung von zusätzlichen 30 Pandur-Radpanzern haben wir ja auch nicht nur bei General Dynamics eingekauft, da sind rund 200 österreichische Unternehmen zu Aufträgen gekommen. Bei den Hubschraubern geht es um das Innenleben, Österreich hat etwa Experten für die Sanitätsausstattung, die das besser können als der italienische Partner. Da sieht man, dass Beschaffungsvorgänge nicht nur für die Sicherheit wichtig sind, sondern auch für die regionale Wirtschaft etwas bringen. Man muss nur sicherstellen, dass nicht einmal der Anschein entstehen könnte, dass irgendetwas nicht rechtens abgelaufen wäre.

STANDARD: Der Eurofighter ist derzeit unser einziges Düsenflugzeug, er hat hohe Betriebskosten. Wie lange wird dieser Zustand so bleiben?

Tanner: Die Eurofighter überwachen den Luftraum, machen jährlich etwa 60 Priorität-A-Einsätze, und ich muss sagen: Unsere Piloten machen das großartig, und bis zum Jahr 2035 können wir dieses System jedenfalls nutzen.

STANDARD: Dies allerdings zu sehr hohen Kosten bei geringer Leistungsfähigkeit, was elektronischen Selbstschutz und Nachterkennungsfähigkeit, die nachgerüstet werden müssten, angeht. Und Trainingsflüge sind besonders teuer. Würde die Beschaffung eines leichten Düsentrainers als Ersatz für die ausgemusterten Saab 105 nicht lohnen?

Tanner: Mir wurde von den Zuständigen keine aktuelle Notwendigkeit eines unabdingbaren Upgrades gemeldet. Der Eurofighter ist ein gutes Gerät. Aber dass er nicht der Kosteneffizienteste ist, ist bekannt. Da gibt es zum jetzigen Zeitpunkt auch keine neuen Entwicklungen: Die Ausbildung ist sichergestellt, und der Luftraum wird überwacht. Was wir aktuell eher überlegen müssen, ist die Ersatzbeschaffung für unsere C-130 Hercules, die ab 2030 ausgetauscht werden muss.

STANDARD: Bleiben wir noch kurz beim Eurofighter: Falls sich jemand findet, der ihn uns abkauft, etwa Indonesien, wäre dann die aktive Luftraumüberwachung weiterhin gesichert?

Tanner: Jedenfalls. Für diesen Fall sind wir im Gespräch mit mehreren europäischen Partnern, um allfällige Optionen zu prüfen. Es wird im österreichischen Luftraum kein Vakuum geben, das ist eine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Was an zusätzlicher Kooperation mit anderen Staaten möglich ist und, wenn ja, mit welchen – das ist eine Frage, die wir führenden Verfassungsexperten gestellt haben, da erwarten wir Ende September Antworten.

STANDARD: Aber Kooperationen im Sinne einer Nacheile, also einer Verfolgung im Luftraum eines Nachbarstaats, sind ja schon vereinbart?

Tanner: Es gibt ein Nacheile-Abkommen mit der Schweiz. Es ist eines fertig verhandelt mit Deutschland. Wir haben aber auch Verhandlungen zu einem luftpolizeilichen Abkommen mit der Tschechischen Republik und mit Italien begonnen. Ich bin überzeugt, dass wir da eine gute Lösung für die Sicherung unserer Lufträume finden werden.

STANDARD: Nacheile heißt aber nicht, dass andere unseren Luftraum sichern und Österreich nichts tun müsste?

Tanner: Nein, das heißt es sicher nicht. Auch wenn die Sicherung des Luftraums für jeden Staat eine besondere – nicht zuletzt: budgetäre – Herausforderung darstellt.

STANDARD: Was ist das wichtigste Projekt für die nächsten Monate?

Tanner: Wenn es nur eines wäre? Da sage ich: Die ständige Modernisierung voranzutreiben, denn da steckt viel drin – vor allem der Abbau des Investitionsstaus, und zwar so, dass er mit dem Risikobild übereinstimmt. Und auch mit den Nachhaltigkeitszielen der Bundesregierung: Wenn wir in Langenlebarn das Anschlussgleis für die Bahn erneuern, dann können wir dort ein Biomassekraftwerk betreiben, zu dem wir das Holz vom Truppenübungsplatz Allentsteig umweltfreundlich hinbefördern und es nutzen. Das erhöht gleichzeitig die angestrebte Autarkie unserer Standorte.

STANDARD: Stichwort Autarkie: Wir haben schon über die Sicherheitspolitische Jahresvorschau gesprochen, in der diese Autarkie seit Jahren gefordert wird und in der neben Afghanistan, Terrorismus und Pandemien, an die lange auch niemand glauben wollte, das Risiko eines Blackouts angesprochen wird. Wir sind heuer mehrfach knapp an einem Blackout vorbeigeschrammt. Ist Österreich da ausreichend vorbereitet? Muss man die Österreicher stärker sensibilisieren? Oder macht man sich dann unbeliebt, weil einem Alarmismus vorgeworfen wird?

Tanner: Als Verteidigungsministerin ist es nicht meine Aufgabe, populär zu sein. Ich glaube schon, dass man sich bemühen muss, vorbereitet zu sein – auch wenn Zivilschutz nicht unsere Ressortzuständigkeit ist und die Verantwortung des Bundesheeres erst eintritt, wenn der Schaden schon geschehen ist und andere nicht mehr können. Als Politikerin sehe ich es als meine Aufgabe an, auf die Probleme hinzuweisen – auch wenn unsere Warnungen, wie Sie beobachtet haben, nicht immer so ernst genommen werden, wie das sinnvoll wäre (Conrad Seidl, 24.8.2021)