Primärversorgungseinheiten sollen die Erstanlaufstelle für Menschen mit gesundheitlichen Problemen sein und Spitalsambulanzen entlasten.

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Von der Erstellung des Konzepts bis zur Eröffnung des Primärversorgungszentrums in St. Pölten verging ein Jahr. Rafael Pichler, 39, hatte mit dieser Zeitspanne kein Problem, andere Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner schreckt der Aufwand aber ab. Zugleich wird es in vielen Regionen Österreichs immer schwieriger, jemanden zu finden, der einen Kassenvertrag für Allgemeinmedizin übernimmt. Die Bundesländer haben daher den Gesundheitsminister dazu aufgefordert, das Primärversorgungsgesetz zu novellieren. Es sei zu sperrig. Die Gründung dieser Gesundheitszentren (Details siehe Wissen unten) müsse vereinfacht werden. Im Herbst stehen Gespräche zwischen Ministerium, Ländern, Kasse und Ärztekammer an.

Primärversorgungseinheiten sollen die Erstanlaufstelle für Menschen mit gesundheitlichen Problemen sein und dank langer Öffnungszeiten Spitalsambulanzen entlasten. Die Politik erhofft sich, dass diese Form der gemeinschaftlichen Arztpraxis vermehrt auch Jungmediziner anspricht und so dem drohenden Mangel an Allgemeinärztinnen und -ärzten auf Kasse etwas entgegensetzt. In Primärversorgungszentren sind auch diplomierte Pflegekräfte tätig, ergänzt von Gesundheits- und Sozialberufen wie etwa Diätologen, Psychologinnen und Physiotherapeuten.

Statt wie ursprünglich von der Politik geplant 75 Primärversorgungseinrichtungen (PVE) gibt es bis dato aber nur 28 in Österreich. Dabei wachsen jene, die bereits bestehen, oft rasant und haben rasch steigende Patientenzahlen. Das Zentrum in St. Pölten-Harland, in dem Pichler tätig ist, platzt aus allen Nähten. Derzeit nutzt es Container, um auf mehr Fläche zu kommen. Ein Neubau ist in Arbeit: mit 900 Quadratmeter Fläche. 51 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen 3200 bis 3500 Patienten in der Woche. "Ich arbeite keine Stunde weniger", sagt Pichler, "verdiene aber auch nicht mehr."

Langwierige Verhandlungen

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat weit vor seinem Start in die Politik selbst 2015 das erste Primärversorgungszentrum in Österreich gegründet. Erst zwei Jahre später lag das Gesetz für dieses vor. Lange spießte es sich an der Frage, wer ein PVZ betreiben darf. Die Ärztekammer gab sich erst zufrieden, als feststand: nur Ärztinnen und Ärzte. Weitere zwei Jahre dauerte es, bis der Gesamtvertrag zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung stand.

Diese heiße Kartoffel wird Mückstein trotzdem wieder angreifen – müssen. Er gibt sich denn auch überzeugt, dass es einfacher werden müsse, PVE zu gründen. Ihm schwebt eine "Attraktivierung der Arbeit als Primärversorgerin oder Primärversorger im ländlichen Bereich" vor. Dafür brauche es Informationsarbeit, eine Stärkung der Zusammenarbeit der Berufsgruppen und eine stärkere Vernetzung aller Gesundheitsbereiche. Außerdem kann es ab 2022 dank Geldes aus dem EU-Ausbaufonds finanzielle Anreize geben.

"Muss etwas passieren"

Förderungen erhalten Betreiber von Primärversorgungseinheiten schon jetzt. Beim PVE "Medizin Augarten" in Wien-Leopoldstadt machen diese rund 18.000 Euro im Monat aus. Das klingt viel, aber "das ist ein Nullsummenspiel, das geht alles für die Zusatzberufe drauf", sagt Mitgründer Wolfgang Molnár. Gemeint ist die Entlohnung der Therapeutinnen und Co. Bis jetzt habe er nur mehr Arbeit als zuvor in der Gruppenpraxis mit seiner Frau, "aber es ist uns ein echtes Anliegen. Im niedergelassenen Bereich muss etwas passieren", sagt Molnár, der auch Lehrpraktikantinnen und -praktikanten ausbildet. "Wer das als Junger von null weg aufbauen will, wird Probleme haben, den Patientenstock aufzubauen", meint der seit 1986 als Allgemeinmediziner tätige Arzt. Er empfindet es als ideal, dass er und seine Frau mit einem angestellten Jüngeren das Zentrum betreiben.

Kasse plant Gründerservice

Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) würde sich in Zukunft bei PVE die Einbindung von Fachärzten, insbesondere der Kinder- und Jugendheilkunde, wünschen. In dem Fach liegen besonders viele Kassenverträge brach. Weiters kündigt die Kasse bessere Services für die PVE-Gründung an. Der Österreichischen Ärztekammer hingegen wären flexiblere Zusammenarbeitsmodelle wichtig. "Ich vergleiche Primärversorgungszentren gern mit Patchworkfamilien. Die Politik erwartet da, dass man sofort zusammenzieht und ein gemeinsames Konto hat. Das ist schwierig. Man muss ausprobieren, wie gut man zusammenarbeiten kann", sagt Naghme Kamaleyan-Schmied, Referentin für Primärversorgung in der Kammer. Was ihr noch wichtig wäre: Dass PVE neben Zentren leichter als Netzwerke disloziert tätig sein können.

Was Kamaleyan-Schmied hingegen gar nicht stört, obwohl manch Bewerber es bekrittelt, ist, dass potenzielle PVE-Gründer ein aufwendiges Konzept erstellen müssen, das schon einmal 30 bis 40 Seiten umfassen kann. Darin soll stehen, was das Gesundheitszentrum bieten wird. "Man soll sich vorher ja alles gut durchdenken", sagt die Ärztevertreterin wohlwollend. Und fügt hinzu: "Stabile Konzepte sind wichtig." (Gudrun Springer, 26.8.2021)