94 Jahre alt und unermüdlicher Anwalt orchestraler Stimmgewalt: Herbert Blomstedt in Salzburg.

Foto: SF/Marco Borrelli

Als Arthur Honeggers 3. Symphonie 1946 in Zürich uraufgeführt wurde, waren die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch allgegenwärtig. Obwohl Honegger es normalerweise ablehnte, seine Musik zu erklären, machte er in diesem Fall eine Ausnahme: "Ich wollte in diesem Werk die Auflehnung des modernen Menschen gegen die Flut der Barbarei, der Dummheit, des Leidens, des Maschinimus, der Bürokratie symbolisieren, die uns seit einigen Jahren bestürmt."

Die Symphonie entstand 1945 im besetzen Paris, und Honegger schrieb sich darin den Abscheu und die Schmerzen über die Zerstörungen des Krieges von der Seele – der Beiname "Liturgique" zeugt davon. Grelle Dissonanzen, wütende Kontrabässe, ächzende Violinen und schreiendes Blech leiten das Dies irae, den Tag des Zorns ein. Mit rhythmischer Energie, Drive und Kraft treibt Herbert Blomstedt (94!) am Pult der Wiener Philharmoniker das beklemmende, stampfende Ostinato voran.

Grandios, wie sich das Orchester in die sich steigernde chromatische Raserei stürzt. Wie Balsam auf die Seele klingt der Beginn des zweiten Satzes De profundis clamavi, den Blomstedt als flehendes, stilles Gebet gestaltet. Der Gesang der Flöte lässt kurzfristig Hoffnung keimen. Die Katharsis erfolgt im Finale mit einem regelrechten Aufschrei der Massen. Mit innerer Spannung und kraftvoller Energie arbeitet Blomstedt mit den Philharmonikern den hämmernden Marschrhythmus im Dona nobis pacem heraus, ehe sich die Musik in friedvoller Stille verliert.

Nach der Pause dirigierte Blomstedt einen seiner Lieblingskomponisten, Johannes Brahms, und es war eine Offenbarung, mit welcher Hingabe und Gelassenheit er durch dessen vierte Symphonie führte. Die Musik gestaltete er mit den Händen, vor allem aber mit den Blicken hinter der Brille. Immer wieder blitzen die Freude und der Schelm hervor; den Klang formte er warm und satt und zauberte dabei einen unerhörten Stimmenreichtum hervor. Die glänzend aufspielenden Streicher und fein abgestimmten Bläser taten ihr Übriges dazu. Am Ende gab es minutenlangen Applaus und Standing Ovations für den alten Meister, der sich mit jugendlichem Elan bei Publikum und Orchester bedankte. (Miriam Danev, 30.8.2021)