Die Rechtsfrage der Bestechlichkeit von Abgeordneten ist kein juristisches Neuland, erläutern die Juristen Stefan Schumann und Philip Marsch im Gastkommentar.

Strache beruft gegen das Urteil – 15 Monate bedingter Haft wegen Bestechlichkeit – in einem ersten Prozess nach Ibiza.
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Die erstinstanzliche, nicht rechtskräftige Verurteilung des ehemaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache wegen Bestechlichkeit hat Wellen vermeintlicher Verunsicherung ausgelöst. Die bekannten Unkenrufe: Der Ex-FPÖ-Parteiobmann sei ein Versuchskaninchen, die WKStA wolle neue Pflöcke in Sachen Parteispenden einschlagen. Könne es überhaupt Bestechlichkeit sein, wenn an die Partei eines Oppositionspolitikers, der de facto keine Macht und keinen Einfluss hat, Geld für seinen Einsatz gespendet wird?

Strache ist kein Versuchskaninchen und sein Strafverfahren kein Testballon. Unabhängig vom Anlassfall kann einer generellen Verunsicherung abgeholfen werden: Der Oberste Gerichtshof hat die Grundsatzfrage, wann sich ein Abgeordneter der Bestechlichkeit schuldig macht, längst geklärt. Diese Rechtsfrage ist ausjudiziert, seit ein österreichischer Abgeordneter zum Europäischen Parlament ein Amtsgeschäft an die Falschen zu verhökern suchte (nachzulesen im RIS unter der Geschäftszahl 17 Os 20/13i). Die Rechtslage stellt sich folgendermaßen dar: "Ein Amtsträger (...), der für die pflichtwidrige Vornahme (...) eines Amtsgeschäfts einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, annimmt oder sich versprechen lässt", macht sich der Bestechlichkeit nach Paragraf 304 Strafgesetzbuch (StGB) schuldig.

Nichts Neues

Abgeordnete zum Nationalrat sind Amtsträger, ihre Handlungen in Zusammenhang mit dem Gesetzwerdungsprozess Amtsgeschäfte. Dazu gehören insbesondere Initiativanträge und alles, was im Vorfeld dazugehört. Das können auch bloß informelle Einflussnahmen von Abgeordneten auf andere Abgeordnete sein, etwa Verhandlungen, persönliche Gespräche und dergleichen. Der Oberste Gerichtshof hat in der obzitierten Entscheidung unmissverständlich ausgesprochen, dass "das systemische Zusammenwirken von Mitgliedern eines Kollegialorgans (dazu gehören Abgeordnete, Anm.) gegenüber Einflüssen von außen auf die Meinungsbildung besonderen Schutz (verdient)". Das ist also nichts Neues.

Zur (angeblichen) faktischen Ohnmacht von Oppositionspolitikern: Dieser Einwand kann wohl nur so verstanden werden, dass sich Abgeordnete der Opposition ungestraft kaufen lassen dürften, weil es "eh wurscht" sei. Zumindest der Gesetzgeber sieht das nicht so: Er stellt an alle Amtsträger den Anspruch, sich nicht zu verkaufen. Einerseits differenziert das StGB nicht zwischen Abgeordneten der Regierung und solchen der Opposition, andererseits verlangt der Tatbestand der Bestechlichkeit nicht einmal die tatsächliche Vornahme des Amtsgeschäfts. Für die Strafbarkeit genügt es, dass der Amtsträger einen Vorteil für die Vornahme eines Amtsgeschäfts fordert, annimmt oder sich versprechen lässt. Ob er das Amtsgeschäft dann tatsächlich in Angriff nimmt, ob es von Erfolg gekrönt ist oder sich als Rohrkrepierer erweist, das alles ist für die Strafbarkeit ohne Belang. Nichts davon ist neu, alles durch Gesetz, Lehre und Rechtsprechung geklärt (und wird fast überall auf der Welt so gesehen).

Verpöntes Geschäft

Wann sind nun ein Amtsgeschäft eines Abgeordneten, etwa ein Initiativantrag, und/oder Handlungen von Abgeordneten in seinem Vorfeld pflichtwidrig? Abgeordnete haben hier einen äußerst weiten Handlungsspielraum, weil sie politisch agieren (sollen und dürfen) und die Interessenvielfalt der Bürger vertreten. Anders aber, wenn ein so enger Konnex zwischen einem Vorteil und einem konkreten Amtsgeschäft besteht, dass das Amtsgeschäft nicht aus politischen und/oder sachlichen Erwägungen vorgenommen werden soll, sondern überwiegend aufgrund des Vorteils. In so einem Fall wandelt sich politische Interessenvertretung des Volksvertreters zu einem verpönten Geschäft. Und dann hat man sich verkauft, und dann macht es auch keinen Unterschied, ob man selbst einen Umschlag in die Hand gedrückt bekommt oder ob das Geld an jemand anderen oder eine Institution fließt. Auch das ist keine Überraschung.

Daran ändert auch die grundsätzliche Zulässigkeit von Parteispenden nichts. Das Parteiengesetz soll seinem Zweck nach Transparenz schaffen und Korruption verhindern, nicht Parteikassen als "Leo" für Bestechungsgelder etablieren. Das sollte eigentlich auch niemanden in Erstaunen versetzen.

Das alles heißt noch lange nicht, dass Strache schuldig ist. Seine Verurteilung ist nicht rechtskräftig, und damit gilt für ihn die Unschuldsvermutung. Das alles heißt lediglich, dass die Rechtsfrage der Bestechlichkeit von Abgeordneten kein juristisches Neuland bedeutet. Also: Strache ist weder Testballon noch Versuchskaninchen. Er ist einem Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit ausgesetzt, nicht mehr und nicht weniger. (Stefan Schumann, Philip Marsch, 2.9.2021)