Zwei der Flaggen, die Demonstranten im März 2019 in Wien hochhielten, um gegen das von ihnen als antisemitisch eingestufte Programm der Organisation BDS zu protestieren.

Foto: Timo Müller

Die Beschwerden von vier Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Umfeld der Jüdischen Österreichischen Hochschülerschaft (JÖH) gegen Strafen der Polizei bei einer Demo 2019 waren erfolgreich. Im März des besagten Jahres hatte die Organisation Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), der zahlreiche Beobachter antisemitische Tendenzen attestieren, in Wien mit rund 25 Teilnehmern eine Kundgebung vor den Botschaften der USA und Israels veranstaltet.

Dagegen hatte sich eine nicht angemeldete Gegendemo formiert, die vom Bündnis Boykott Anti-Semitism und der JÖH organisiert wurde. Auch daran nahmen etwa 25 Personen teil. Sie empörten sich etwa darüber, dass bei der BDS-Demo antisemitische Parolen gerufen worden sein sollen. Zudem soll – wie der STANDARD damals berichtete – ein Redner einen Schal der von der EU als Terrororganisation eingestuften Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) getragen haben.

"Lang lebe Israel"

Die Gegendemonstranten traten den BDS-Slogans mit Flaggen und Rufen entgegen. Sie skandierten etwa "Lang lebe Israel" und "Free Palestine from Hamas" und hielten die israelische Staatsflagge in die Höhe.

Im Gemenge dabei waren auch Mitarbeiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT). Die Verfassungsschützer orteten in den Gesten und vermeintlichen "Schmährufen" von vier Gegendemonstranten aus dem JÖH-Umfeld eine Störung der öffentlichen Ordnung und zeigten diese an. Die Polizei verdonnerte die Aktivisten daraufhin zu Geldstrafen von 150 Euro, wogegen sie vor das Verwaltungsgericht Wien zogen. Das Protokoll der Verhandlung samt Urteilsspruch liegt dem STANDARD vor. (Das entsprechende schriftliche Urteil wird in Kürze ausgefertigt.)

Verfassungsschützer orteten Provokation

Bei der Verhandlung sagten die LVT-Mitarbeiter aus, dass sich die BDS-Teilnehmer durch die Rufe und Fahnen der Gegendemo provoziert fühlen konnten und sich daraus ein Konflikt hätte ergeben können. Antisemitische Äußerungen auf der BDS-Demo hätten sie nicht wahrgenommen. Das Schwenken einer Israel-Fahne sowie proisraelische Parolen seien zwar an sich noch keine Provokation, doch direkt "vor der Nase" der BDS-Kundgebung habe dadurch die Gefahr von Ausschreitungen zwischen den rivalisierenden Gruppen gedroht, erklärten die Verfassungsschützer. Abmahnungen hätten nicht gefruchtet, daher habe man die Aktivisten angezeigt.

Die Beschwerdeführer, darunter der ehemalige Co-Präsident der JÖH, Benjamin Hess, beriefen sich hingegen auf das Recht auf freie Meinungsäußerung im Rahmen einer Demo. Hess verwies darauf, dass mittlerweile auch der österreichische Nationalrat BDS als antisemitische Gruppierung charakterisiert und dazu aufruft, deren Veranstaltungen nicht zu fördern oder finanziell zu unterstützen. Als israelischer Staatsbürger habe er sich vom antiisraelischen BDS-Aufmarsch geradezu aufgerufen gefühlt, seine gegenteilige Meinung auf der Straße kundzutun.

Undifferenzierte Vorwürfe

Das Gericht folgte den Beschwerden und hob die Straferkenntnisse auf. Es sei nämlich "nicht zu erschließen, worin beim Zurufen, mag dies auch auf palästinensischer Seite als provozierend empfunden werden, eben beim Zurufen proisraelischer Parolen ein Schmähruf zu erblicken ist". Auch beim Schwenken der Israel-Fahne sei nicht klar, was daran die öffentliche Ordnung gestört haben soll. In den vier gleich formulierten "undifferenzierten" Straferkenntnissen fehle schlicht die konkrete Beschreibung einer Tathandlung.

Benjamin Hess von der JÖH zeigt sich über das Urteil erfreut. Nun sei "klar entschieden", dass es sich beim Hochhalten einer Israel-Flagge und proisraelischen Rufen um eine legitime Meinungsäußerung handle. Er frage sich aber, wieso es "in Österreich überhaupt notwendig ist, bis zu Gericht zu gehen, um so etwas Grundlegendes feststellen zu lassen".

Strafen wegen Missachtung des Schutzradius

In einem anderen Aspekt der antagonistischen Demos im März 2019 wurden Polizeistrafen vom Verwaltungsgericht zuletzt indes bestätigt. Demnach haben drei Gegendemonstranten aus dem JÖH-Umfeld gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, indem sie den Mindestabstand zur BDS-Demo missachtet hatten und in deren Schutzbereich eingedrungen waren. Dafür waren je rund hundert Euro Strafe rechtskräftig zu bezahlen, wie die JÖH dem STANDARD mitteilte. (Theo Anders, 14.9. 2021)