In Deutschland und Österreich konnte die "Querdenker"-Bewegung zeitweise tausende Menschen mobilisieren.

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Bill Gates als Drahtzieher, eine angeblich tödliche Impfung und die Neue Weltordnung: Begibt man sich in die Tiefen der Kommunikationskanäle der "Querdenken"-Bewegung, findet man allerlei krude Falschinformationen über Covid-19. Mitglieder wettern hartnäckig gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und organisieren sich – neben inzwischen schwächelnden Demonstrationen in Deutschland und Österreich – auf Plattformen wie Telegram und Facebook.

Am Donnerstag teilte letzteres Unternehmen deshalb stolz mit, etwa 150 Nutzerkonten gelöscht zu haben. Darunter auch die Accounts von "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg. Gleichzeitig kündigte man ein neues Vorgehen gegen koordinierte Kampagnen an, die Nutzer dazu anstiften, auch abseits sozialer Medien Schaden anzurichten. Im Falle der Corona-Verschwörungserzähler kommt der Vorstoß allerdings sehr spät – und scheint vor allem inkonsequent zu sein. Relevante Auswirkungen auf die Bewegung dürfte das Vorgehen deshalb nicht haben.

Skurrile Zusammenkunft

"Querdenken 711", die Stuttgarter Splittergruppe der Bewegung, rief Ballweg schon im Frühjahr 2020 ins Leben. Kurz darauf folgten zahlreiche Ableger in anderen Städten, die nachstehenden Ziffern deuten dabei auf die Vorwahl der jeweiligen Ortschaft hin. Aus der Welt des Corona-Protests sind diese schon lange nicht mehr wegzudenken.

Besonders skurril macht die Bewegung das stark gemischte Publikum: Nicht selten sieht man Reichkriegs- neben Regenbogenflaggen, Kleinfamilien neben gewaltbereiten Rechtsradikalen.

Das treue Publikum wird in der Regel über soziale Medien mobilisiert, natürlich via Facebook-Gruppen und -Seiten. Viel wichtiger ist seit einiger Zeit allerdings der Messenger-Dienst Telegram, wo den Akteuren aufgrund mangelnder Inhaltsmoderation kaum Grenzen gesetzt werden. "Querdenken 711" erreicht dort mit einem öffentlich einsehbaren Kanal 60.000 Personen, ein Ableger aus Dresden etwas mehr als 4.000.

Die Kommunikation ist dort viel direkter als auf Facebook, jedes Mitglied kann sofort seine Meinung posten – und erhält für jede einzelne Antwort eine Push-Benachrichtigung auf sein Handy. Das vermittelt ein Zugehörigkeitsgefühl und hält auf Trab, was sich auch in den Inhalten widerspiegelt. Im Vergleich zu Facebook werden teils radikalere, ja extremere Positionen kommuniziert, ohne Sorge über mögliche Folgen. Erschwerend kommt außerdem die Möglichkeit hinzu, die Inhalte anderer Gruppen und Kanäle mit nur einem Knopfdruck weiterzuleiten. Folgt man also einem vergleichsweise harmlosen Maßnahmenskeptiker, werden einem schnell die Inhalte rechtsextremer Influencer aufgetischt.

Teil des "Problems"

Facebook und Instagram sind "Querdenkern" hingegen schon länger ein Dorn im Auge. Sie gelten als Teil des Problems, weil extremere Aussagen leichter zu einer Sperre oder Löschung führen als auf alternativen Plattformen.

Wirklich folgenreich scheint Facebooks jüngste Löschaktion außerdem nicht zu sein. Sucht man dort am Freitag nach "Querdenken", werden einem weiterhin dutzende Gruppen, Personen und Seiten der Bewegung aufgelistet, die teilweise mehrere Hundert Mitglieder oder Abonnenten zählen. Einerseits scheint der Platzverweis also inkonsequent, andererseits zeigt die dort eher kompakte Reichweite, dass Interessierte sich schon längst von Mainstream-Plattformen abgewandt haben – und andernorts, abseits der Regulierung eine deutlich größere Gefolgschaft aufbauen konnten.

Auch Helena Schwertheim, Forscherin am Institute for Strategic Dialogue, bestätigt das: Die Löschung kommt ihr zufolge viel zu spät, entsprechende Desinformationen haben sich schon längst verbreitet, während Akteure auf Alternativplattformen ausgewichen sind.

Warum gerade jetzt?

Darüber, warum entsprechende Accounts gerade jetzt gelöscht wurden, lässt sich hingegen nur mutmaßen. Möglich ist jedoch, dass Facebook wenige Tage vor der deutschen Bundestagswahl zeigen will, dass es sich gegen die Verbreitung von Falschinformationen einsetzt. Eine relevante Auswirkung wird das allerdings kaum haben.

Wirft man einen Blick in einschlägige Telegram-Gruppen, zeigt sich eher, dass die Aktion und die darauffolgende Berichterstattung für erneute Mobilisierung genutzt werden. Es dauerte nicht lange, bis zu Spenden an Ballweg aufgerufen wurde, damit dieser rechtlich gegen Facebook vorgehen kann. Eine Klage wäre ziemlich sicher erfolglos. Dass eine solche tatsächlich angestrebt wird, ist aber sowieso unwahrscheinlich. Viel eher scheint es um den Versuch einer weiteren Verstärkung des "Wir gegen die da oben"-Gefühls zu gehen. Eine Taktik, die die "Querdenker"-Bewegung angesichts ihrer Reichweite noch immer zu beherrschen scheint. (Mickey Manakas, 17.9.2021)