Ein Instagram-Foto von Jenae Gagnier als "Mercedes Morr" aus dem vergangenen Mai.

Foto: Instagram/missmercedesmorr

Die US-Instagrammerin Mercedes Morr zeigte sich gegenüber ihren mehr als 2,2 Millionen Instagram-Followern als "Partygirl". Sie war Gast auf vielen Events und feierte gemeinsam mit Prominenten. Ende August wurde die 33-Jährige von einem Fan in ihrem Haus ermordet. Die grausame Tat, so berichtet das "Rolling Stone"-Magazin, lässt nun auch bei anderen Influencern die Angst umgehen.

Morr, die mit bürgerlichem Namen eigentlich Jenae Gagnier hieß, wuchs auf als Tochter zweier junger Eltern mit Militärvergangenheit auf. Sie heirateten nach ihrer Geburt, ließen sich aber bald wieder scheiden. Sie blieb bei ihrem Vater Mark Gagnier, und sie zeigte schon als Kind unternehmerische Züge und bot als 12-jährige gemeinsam mit einer Freundin Haarstyling-Dienste in der hauseigenen Garage an. Während ihrer Teenagerzeit schien sie jedoch keinen Karriereweg zu finden. Nach dem Highschoolabschluss begann sie eine Ausbildung zur Zahnarztassistentin. Diese brach sie aber wieder ab und zog mit ihrem damaligen Freund nach Las Vegas.

Vom Strip-Club zur Vollzeit-Influencerin

Dort etablierte sie als Stripperin ihr künstlerisches Alter Ego. Während sie privat weniger extrovertiert war und besonders zu ihrem Vater eine innige Beziehung pflegte, trat sie als Mercedes in Strip-Clubs auf. Obwohl ihre Eltern ihrer Berufswahl gegenüber ursprünglich sehr kritisch waren, gab ihr letztlich auch der finanzielle Erfolg recht. 4.000 bis 5.000 Dollar nahm sie an Wochenenden ein. Sie sah, so sagt ihre Familie, das Tanzen als Mittel zum Zweck, ihre Rechnungen zu bezahlen und ihre Ambitionen weiter zu verfolgen.

Ihren Erfolg in diesem Geschäft nutzte sie auch, um sich eine wachsende Anhängerschaft auf sozialen Medien – vor allem Instagram – aufzubauen. Fotos gab es dort oft in knappen, figurbetonten Outfits. Von ihrer Popularität konnte sie zunehmend leben, auch dank Kooperationen mit bekannten Modemarken und anderen Firmen. Sie zog um, zuletzt nach Houston, wo sie später auch den Schritt zur Vollzeit-Influencerin machte, die gut von Modeling, Auftritten und einem Onlyfans-Account leben konnte.

Viele Pläne

Sie wurde zum gern gesehenen Gast auf Partys mit dem Rapper Drake und anderen bekannten Persönlichkeiten. Beliebt war sie auch deswegen, so sagt ihre Schwester London Gagnier, weil sie auch mit Berühmtheiten nicht anders umging wie mit anderen Menschen. In Houston engagierte sie sich auch für schwarze Unternehmerinnen und Unternehmer, für die sich auch Motivationsansprachen gab. Sie stand kurz davor, eine Leggings-Kollektion und Haarverlängerungen unter eigener Marke zu veröffentlichen.

Erst Mitte August plante sie den Umzug in ein neues Haus, in dem künftig auch ihr Freund aus Alabama wohnen sollte. Erstmals fühlte sie sich in einer Beziehung richtig verstanden und akzeptiert und dachte über die Gründung einer Familie nach. Da sie bis zum Eintreffen ihres Freundes nicht alleine sein wollte, bat sie ihren Vater per SMS um einen Besuch. Doch zu ihrem Einzug in die neue Bleibe kam es nicht mehr.

Botschaften an der Wand

Am 29. August erhielt Mark Gagnier einen verzweifelten Anruf von London. Sie war von Freunden Jenaes kontaktiert worden, die seit Tagen nichts mehr von ihr gehört hatten. Auch eine neue Story auf Instagram hatte sie seitdem nicht gepostet, was ebenfalls unüblich war. London selbst hatte zuletzt drei Tage zuvor mit ihr telefoniert, als Jenae gerade auf dem Heimweg von einer Party beim NBA-Basketballprofi James Harden war.

Ihr Vater machte sich gemeinsam mit seiner Freundin auf den Weg an ihren Wohnort. Weil niemand reagierte, obwohl ihr Auto in der Garage stand, trat er schließlich die Tür ein. Im Haus, so schilderte er gegenüber der Polizei, fand er seine Tochter leblos und nur halb bekleidet am Fußende der Treppe. In ihrem Schlafzimmer im ersten Stock lag ihr mutmaßlicher Mörder, Kevin A., in seinen letzten Zügen mit einem Messer in der Brust. Er hatte sich nach der Tat offenbar selbst verletzt und noch zwei Tage dort verbracht.

Mit Lippenstift hatte er in dieser Zeit auch Botschaften an die Wände gemalt. "Janae ließ mich glauben, sie interessiere sich für mich, doch sie trug den Ring eines anderen Mannes", stand dort. "Ich wünschte, ich hätte sie nie kennengelernt" oder auch "Ich wurde für Geld benutzt."

Falschnachrichten

Die Influencerin hatte stets auf ihre Sicherheit geachtet und schon zuvor Erfahrung mit obsessiven und potenziell gefährlichen Fans gemacht. Als sie einmal "gedoxxt" wurde, also jemand ihre Adresse herausgefunden und veröffentlicht hatte, wechselte sie den Wohnort. Sie folgte den Ratschlägen ihrer Managerin, nahm keine Fotos in ihrem Zuhause auf und postete Bilder von anderen Orten erst, wenn sie dort nicht mehr war. Sie lebte in einer abgeriegelten Wohnsiedlung (Gated Community) am Stadtrand. Wenngleich sie an sich ein ängstlicher Mensch war, ließ sie sich von Trollen und Hasskommentaren nur wenig beeindrucken und sah sie als unvermeidlichen Aspekt ihres Lebens als Internetstar.

Laut ihrer Familie hatte sie keinen persönlichen Bezug zu Kevin A., auch die Polizei fand bei ihren Ermittlungen keine Verbindungen. Es ist auch unklar, wie ihr mutmaßlicher Mörder ihre Adresse herausgefunden hatte. Doch die Kunde ihres Todes führte nichtsdestoweniger auch zu zahlreichen Falschbehauptungen über das Geschehene. So wurde verbreitet, Jenae wäre an HIV verstorben, hätte ihren Mörder persönlich gekannt oder hätte als Escort-Dame gearbeitet und sei dabei an den Falschen geraten. In manchen "Männerrechtler"-Gruppen und anderen misogynen Kreisen lautete das Narrativ, dass sie das Opfer ihres eigenen, gefährlichen Spiels des Umgarnens fremder Männer mit ihren Reizen geworden sei.

Posthum gewann Jenaes Instagram-Konto hunderttausende Follower neu hinzu. Ihre Schwester ist wider Willen nun auch ins Scheinwerferlicht geraten und fühlt sich zunehmend unsicherer. Sie vermeide große Menschenansammlungen und blicke regelmäßig über ihre Schulter.

Laut Jenaes Mutter, Jeanetta Grover, werden immer noch zahlreiche Kommentare bei Instagram-Postings ihrer verstorbenen Tochter hinterlassen. Darunter sind viele Beileidsbekundungen, aber auch Beiträge, laut denen Jenae selbst schuld an ihrer Ermordung sei, da sie ihren Körper so zur Schau gestellt habe. "Es ist nicht fair, dass es Frauen nicht gestattet ist, schön zu sein", meint Grover. "Männer können ihr Leben leben, ohne gejagt zu werden. Traurig, dass Frauen dieses Recht nicht haben." (gpi, 27.9.2021)