Jetzt stellt sich die Frage, wie kompromiss- und gesprächsbereit sich vor allem Grüne und FDP zeigen, sagt Politikwissenschafterin Julia Reuschenbach im Gastkommentar.

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SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz bleibt keine Zeit, seinen Wahlerfolg zu feiern: Auf die gewonnene Wahl folgt jetzt die schwierige Partnersuche.
Foto: Reuters / Fabian Bimmer

Drei Wahlsieger stehen Montagmorgenim Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD. Wer hätte in den letzten Jahren geglaubt, dass es dieses Bild noch einmal geben würde? Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz hat mit 25,7 Prozent die Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag gewonnen.

"Die SPD stand in den vergangenen Monaten geschlossen hinter ihrem Kandidaten."

Der Sieg der SPD, die noch im Juli dieses Jahres im Allzeit-Umfragetief um die 14 Prozent stagnierte, basiert auf mehreren Faktoren. Schon vor über zwölf Monaten, damals wurde die Kür eines SPD-Kandidaten angesichts der Umfragen von vielen belächelt, kürte die Partei Scholz zu ihrem Kandidaten und entwickelte mit ihm gemeinsam in einem mehrmonatigen Prozess ein Wahlprogramm. Und noch etwas war anders als früher: Die SPD stand in den vergangenen Monaten geschlossen hinter ihrem Kandidaten, das galt selbst für die Parteilinken um Kevin Kühnert, von denen nicht wenige Scholz zuvor über Jahre mit Skepsis und Ablehnung begegneten.

Von Fehlern profitiert

Mit der Betonung von Eigenschaften wie Erfahrung, Fachkenntnis, Unaufgeregtheit und Sachlichkeit gelang es zudem, Scholz in eine Linie mit dem Politikstil Angela Merkels zu stellen. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Scholz von den Fehlern der anderen profitierte. Ob geschönte Lebensläufe oder Plagiatsaffären wie im Fall Annalena Baerbocks oder mit Blick auf eine ganze Reihe unglücklicher Auftritte bei Armin Laschet: Die Fehler der anderen haben Scholz stark gemacht, und zugleich waren seine eigenen "Baustellen" (Wirecard, Cum-Ex) zu komplex, um wirklich im Wahlkampf skandalisierbar zu sein.

Auch in den parallelen Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern konnte sich die SPD mit ihren Spitzenkandidatinnen Manuela Schwesig und Franziska Giffey durchsetzen. Dieser Superwahlabend hat damit einen klaren Gewinner: die SPD. Andere Gewinner sind nicht ohne weiteres auszumachen. Die Grünen können ihr Ergebnis aus dem Jahr 2017 fast verdoppeln und bleiben doch weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Baerbock hat schon in den letzten Wochen des Wahlkampfs nicht mehr um das Kanzleramt mitgespielt. Jetzt liegt es an ihr und ihrem Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck auszuloten, in welcher Koalition die grünen Forderungen nach einem "echten Aufbruch" und einer "Klimaregierung" umsetzbar sind. Mehr als 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler wünschen sich eine Beteiligung der Grünen an einer nächsten Regierung. Das gilt auch für eine mögliche Regierungsbeteiligung der FDP. Beide werden die Preise hochtreiben: Mit wem – SPD oder Union – lässt sich wie viel umsetzen? Wollen beide Parteien womöglich dem klaren Wahlverlierer (minus 8,9 Prozentpunkte), der Union, dennoch in die Regierung und damit Laschet ins Kanzleramt verhelfen?

Unabkömmliche FDP

Die FDP verzeichnet mit 11,5 Prozent nur leichte Zugewinne, kann sich jedoch nach dem Rauswurf aus dem Bundestag im Jahr 2013 nun zum zweiten Mal zweistellig im Bundestag behaupten. Die Partei sieht sich nun mit Verhandlungsmacht ausgestattet und schließt nicht aus, dass wie schon 2017 mögliche Koalitionsverhandlungen auch scheitern können, sofern man nicht genügend eigene Inhalte einbringen kann. Dies scheint gleichwohl unwahrscheinlich, hat doch der Parteivorsitzende Christian Lindner vielfach im Wahlkampf betont, dass er die FDP in die nächste Regierung führen will.

In beiden möglichen Bündnissen, einer Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen oder in einer Jamaika-Koalition mit der Union und den Grünen, wäre die FDP der kleinste Partner am Verhandlungstisch, zugleich aber unabkömmlich. Als dritte und wie schon 2017 nur als Notlösung zu bezeichnende Option bliebe eine von den Beteiligten ungeliebte große Koalition aus SPD und Union. Trotz erster Tendenzen am Tag nach der Wahl lässt sich mit Bertolt Brecht sagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Desolate Linke

In den kommenden Tagen wird sich zeigen, wie sich Deutschland mit einem neu sortierten Parteiensystem, in dem nun nach dem Absturz der Union die letzte Volkspartei diesen Status zumindest vorläufig einbüßt, zurechtfindet. Die AfD kann sich dabei zwar im Parlament halten, büßt jedoch unter leichten Verlusten die Rolle als Oppositionsführerin ein.

Desolat endete der Abend für die Partei Die Linke. Sie hat im Vergleich zur Wahl 2017 fast die Hälfte ihrer Stimmen eingebüßt und ist nur dank der Grundmandatsklausel in den Bundestag eingezogen. Demnach zieht eine Partei auch dann in der Stärke der für sie abgegebenen Zweitstimmen in den Bundestag ein, wenn es ihr gelingt, über die Erststimmen mindestens drei Direktmandate zu erringen. Es sind exakt drei Kandidatinnen und Kandidaten aus Berlin und Leipzig, die der Partei den Fraktionsstatus im Bundestag sichern und damit die Chance für eine Erneuerung in den kommenden vier Jahren.

So bietet diese Bundestagswahl nach dem Ende der langen Kanzlerschaft Merkels vieles, über das wir in den kommenden Wochen noch reichlich diskutieren werden: Wird Deutschland nach 1949 bis 1953 künftig von einer Dreiparteienkoalition regiert? Wie kompromiss- und gesprächsbereit zeigen sich SPD, Union, Grüne und FDP? Welche der kleineren Parteien, FPD oder Grüne, ist bereit, in eine Koalition des anderen politischen Lagers einzutreten? In welchem Verhältnis werden Wahlversprechen zu den Ergebnissen möglicher Koalitionsverhandlungen stehen? Und wie wird es dabei vor allem den Grünen, aber auch der FDP gelingen, die Erwartungen eigener Wählerinnen und Wähler zu erfüllen? Die Parteien stehen vor schwierigen Verhandlungen, Deutschland vor großen Herausforderungen – nach der Wahl ist es nun also mindestens so spannend wie vor der Wahl. (Julia Reuschenbach, 28.9.2021)