"Die Schönen dürfen alles", schreibt Jelinek über Ernie Mangold. Die Schauspielerin wird am 26. Jänner 2022 95 Jahre alt.

Foto: Erni Mangold

Ich sehe eine wunderschöne Frau vor mir. Sie ist elegant, schon etwas älter. Sie spricht mein Schneewittchen, das ihr, wie ihr Chanelkostüm, auf den Leib geschneidert ist, und dieses Schneewittchen ist, ja, schneeweiß und dieses rote Wahnsinnshaar dazu! (Eigentlich sollte es, wie im Märchen, schwarz sein, aber schwarz kann nicht sein, weil nur Erni Mangold es sein kann.)

Dieses Schneewittchen ist sich selbst auf den Leib geschneidert worden. Als hätte ich nur drauf gewartet, dass diese Frau es ist, die die Schönheit selbst ist und immer sie selbst ist in ihrer Schönheit. Und es ist, gerade in diesem Märchen, die Schönheit, um die jemand beneidet wird.

Doch diese Schauspielerin ist so schön, dass sogar der Neid sterben muss vor ihr, er verwelkt, bis man nicht mehr sieht, was er einmal gewesen ist, ein normaler, farbloser Mensch, nicht eine Märchenfigur.

Schwerelos, unabsichtlich

Aber gerade das macht Erni Mangold aus, diese Mischung aus Schönheit und völliger Normalität, Sachlichkeit, aus Realismus und dem Unfassbaren, denn Schönheit entzieht sich so vielen Menschen, die ihr Leben lang mit dieser Zurücksetzung durch die Natur hadern und schlimme Dinge mit sich geschehen lassen, um sie zu erreichen, eine solche Schönheit, ach!, und endlich selbst schlimme Dinge machen zu dürfen, denn die Schönen dürfen alles.

Gerade das macht Erni Mangold aus, diese Mischung aus Schönheit und völliger Normalität.
Foto: Erni Mangold

Eine Schönheit wie die Erni Mangolds ist wie schwerelos, unabsichtlich, etwas, das sie, unbeeindruckt auch von sich selbst, bekommen hat. Sie denkt nach, jedoch sozusagen abseits dieser eigenen Schönheit. Die Natur hat das geschafft, geschaffen, und jetzt schaut sie auf sich selbst zurück, weil sie vielleicht noch mehr erschaffen könnte, das dann oft leider ein Raubtier wird.

Erni Mangold hat sie erlebt, die Raubtiere, die einst Menschen waren oder Raubtiere wurden, weil sie Menschen waren, sie hat sie in ihrer Jugend gesehen und erlebt. Jetzt kann ihr niemand mehr was vormachen. Nur sie selbst musste sich nicht machen, sie wurde geschaffen, wie sie eben ist.

Schönheit und Wahrheit

Eine unglaublich schöne Schauspielerin, nicht mehr, aber weniger eben auch nicht, eine, die einfach spielt, weil sie das will und genauso will, wie es halt sein muss. Da fallen Schönheit und Wahrheit, von denen so oft die Rede ist, ineinander, denn Schönheit kann nicht aus sich selbst bestimmt werden, wie das Denken, auf beides kann man nicht warten, weil man die beiden nicht einfach so bekommen kann (und sie würden einem vielleicht auch gar nicht bekommen), Warten zwecklos, denn wir gehören selbst in das, worauf wir warten, können es aber nicht erreichen, wir sind es ja schon, zufrieden werden wir nie sein.

Die Natur schaut auf diese schöne Frau zurück, die Worte spricht, auch meine. Die Natur überlegt, ob sie sowas noch einmal zusammenbringen wird, so wie diese Frau Geschriebenes mit sich selbst zusammenbringt, daß es nicht mehr geschrieben, sondern in selbstloser, nein, ichloser Schönheit einfach vorhanden ist, die irgendwann einmal herrenlos herumgerannt ist, weil sie nur so selten das Los einer Frau ist.

Dieser Frau, Erni Mangold, kann das alles egal sein, mein Blödsinn zuallererst. Sie ist da und spricht. Und ich starre sie an, bevor die Schönheit sie mir wegnimmt und nur noch meine nackte Sprache da ist, welche diese Schauspielerin zum Aufruhr bringen soll, wie ich es mir von meinen Sachen so oft wünsche.

Doch nichts bringt jemand wie Erni Mangold zum Aufruhr. Es ist nicht nötig. Sie braucht das nicht. Sie ist da, das genügt. Und es genügt auch meinen Worten, denn sie wissen, mehr kann man nicht haben. (Elfriede Jelinek, ALBUM, 2.10.2021)