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Ein göttlicher Lumpi – das Meisterwerk des Soulsängers O. V. Wright wurde nach Jahrzehnten neu aufgelegt.
Das Cover ist bestenfalls als Understatement zu werten. Es sieht aus, als habe ein tiefbegabter Grafiker mit Klebstoff und Kartoffeldrucktechnik im Rausch seine erste Collage angefertigt, sogar orthografische Fehler finden sich darauf. Doch seit einem Lied von Bo Diddley ist klar, man soll Bücher nicht nach ihrem Umschlag beurteilen. Dasselbe gilt für A Nickel and a Nail and Ace of Spades von O. V. Wright. Seiner verunglückten Aufmachung zum Trotz ist es das beste Album des 1980 früh an Herzversagen gestorbenen Soulsängers; nun wurde es erstmals seit über 30 Jahren als LP neu aufgelegt.
Hunderte Euro werden für brauchbare Originale bezahlt, und man versteht es. Doch verlockende Superlative würden die Magie dieses Monolithen bloß bekleckern. Es gilt anzuerkennen, dass die Sprache oft nur unzureichende Mittel zu Verfügung stellt, um große Kunst zu beschreiben. So auch hier.
Overton Vertis Wright war ein Gigant des Südstaatensoul. Der 1939 in Tennessee geborene Sänger begann wie viele seiner Zunft in der Kirche zu singen. Unter dem Eindruck von Sam Cookes Erfolg versuchte er, wie dieser zu klingen, wurde aber von seinem Kollegen Grover Blake aufgefordert, sich lieber am Gospelmusiker Morgan Babb zu orientieren. Dessen Stil passe viel besser zu Wrights Stimme.
Erste Single, erster Hit
1964 erlag er weltlichen Versprechungen und wechselte in die Soulmusik hinüber. Schon seine erste Single That’s How Strong My Love Is war ein kleiner Hit und wurde von Otis Redding und den Rolling Stones gecovert.
Über vertragliche Verstrickungen landete Wright beim texanischen Label Backbeat, produziert und aufgenommen wurde aber meist drüben in Memphis, wo Wright von Produzent Willie Mitchell gefördert wurde. Die Formel, die Mitchell ein paar Jahre später für den Welterfolg von Al Green verwenden sollte, erprobte er auf seinem Label Hi Records an Sängern wie Wright.
Ein Star im Süden
Der wurde schnell ein Star in den Südstaaten, wo seine im Gospel wurzelnde Emotionalität mit der zärtlichen und ökonomischen Eleganz von Mitchells Produktionen Highlights des Deep Soul markierte. Die besten Resultate befinden sich auf A Nickel and a Nail ... Das erschien 1972.
Zu der Zeit begann Al Greens Karriere gerade mächtig abzuheben, doch dessen Sog zog Wright nicht mit . Während Greens Verführungssoul vom weißen Publikum entzückt empfangen wurde, verfing Wrights Kunst lediglich beim afroamerikanischen Publikum. Dort war er Homeboy und Star zugleich, ein liebenswürdiger Lumpi mit zu vielen falschen Freunden, der sein Geld beidhändig für Autos, Schmuck und Drogen ausgab. Was übrig blieb, verzockte er.
Achterbahnfahrten
In den heuer erschienenen Memoiren des Schlagzeugers Howard Grimes nimmt Wright einen prominenten Platz ein. In Timekeeper – My Life in Rhythm schreibt Grimes, dass Wright mehr als einmal wegen ausständiger Unterhaltszahlungen von der Polizei direkt von der Bühne geholt worden sei. Im selben Buch wird der 2010 verstorbene Willie Mitchell mit dem Satz zitiert: "Wenn O. V. überlebt hätte, wäre er heute der größte Sänger der Welt." A Nickel and a Nail ...untermauert diese Annahme.
Schon der Opener Don’t Let My Baby Ride haut einen aus den Schuhen: ein eifersüchtiges Kleinod, das Wright als Achterbahnfahrt durch Herz, Hirn und Hose interpretiert – eingebettet in die Kunst einer der besten Studiobands aller Zeiten.
Born All Over steht wie so viele seiner Songs mit einem Bein in der Kirche, Hits wie Ace of Spades oder A Nickel and a Nail zählen zu den tragenden Säulen des Deep-Soul-Genres, sind in ihrer Mischung aus Hingabe und Beherrschung nie wieder erreichte Sternstunden – komprimiert im Drei-Minuten-Format.
Vom Feuer vernichtet
Das US-Label Real Gone hat dieses vielgesuchte und im Hip-Hop oftmals gesampelte Wunder endlich neu zugänglich gemacht. Wie das zustande kam und welches Material dafür verwendet wurde, darauf erfolgte auf Anfrage keine Antwort. Schließlich sollen Wrights Masterbänder 2008 bei einem Feuer im Universal-Music-Archiv in Los Angeles vernichtet worden sein.
Der Klang der Platte ist dennoch betörend und konserviert damit den überschaubaren Nachlass dieses Tragöden. O. V. Wright verbrachte die mittleren 1970er-Jahre wegen Drogendelikten im Gefängnis – bevor er zwischen 1977 und seinem Tod in einem Rettungswagen wiederkehrte und vier weitere Soulalben und ein Gospelalbum veröffentlichte: Alle sind sie Gold, doch keines fesselt wie A Nickel and a Nail and Ace of Spades. Gäbe es diesen einen heiligen Gral des Deep Soul – es wäre definitiv ein Anwärter. (Karl Fluch, 2.10.2021)