Moor Mother beschwört mit ihrem Klappcomputer irrlichternde Geister. Die sind meistens nicht besonders gut drauf.

Foto: imago

Oberflächlich betrachtet könnte man zum Schluss kommen, dass es sich bei Moor Mother um das große Anti zum noch größeren Pro der afroamerikanischen Poetry- und Stil-Ikone Amanda Gorman handelt. Beide operieren vom Predigtstuhl aus mit salbungsvollen Worten und einem Pathos, das jedem Missionar zur Zierde gereichen würde. Allerdings musste man bei Moor Mother in ihrer Kirche der letzten Tage bisher immer eher mit der letzten Ölung als mit dem Taufkreuz rechnen.

Die mit dunkler, beschwörender Stimme vortragende US-Spoken-Word-Poetin und radikal zwischen den Genres sitzende Laptop-Musikerin Camae Ayewa bevorzugt im Gegensatz zu tapferen Durchhalte- und Selbstermächtigungsversen, nach denen es uns allen für kurze Zeit im Sinne der Beatles und All You Need Is Love besser gehen wird, die Schilderung der kalten, harten Fakten des Lebens und dem großen schwarzen Nichts, das danach droht. Es wird auch weniger das verbindliche "Wir" angesprochen als das vielgescholtene "Ich". Ohne das aber kriegen frau und man ja bekannterweise nicht den Arsch hoch.

ANTI- Records

Moor Mother jedenfalls hat während der letzten Jahre solo und in diversen Kollaborationen hart daran gearbeitet, so etwas Ähnliches wie die Dichterfürstin der Endzeit zu werden. Dass es auf ihrem neuen Album Black Encyclopedia Of The Air allerdings auch wieder aufwärtsgehen muss, weil man nicht mehr tiefer in offenen Wunden bohren kann, ist eine Tatsache.

In Clock Fight heißt es: "Ain’t gonna fight no more / Already fought the doomsday clock / The clock of hell / The clock of democracy / And I ain’t gonna fight no more / Me after me / Ticking right after me / In the swoop over me before / And the world will be one with / God/ Before anybody else / Me / Ain’t gonna fight no more."

Nach Arbeiten im Bereich Rap und Hip-Hop gemeinsam mit DJ Haram als 700 Bliss, ein wenig ins Kraut schießenden Soloexperimenten mit den Reizen von Industrial Music und den Geräuschen, die ein Haus macht, wenn man es nicht baut, sondern niederreißt, oder ihrer Zusammenarbeit mit dem Jazzquintett Irreversible Entanglements ist Moor Mother laut eigenem Bekunden nun bei ihrem "sell-out record"angelangt. Sprich, es klingt einigermaßen "zugänglich".

Jump-Scare-Momente

Black Encyclopedia Of The Air führt die bisherigen Einflüsse allerdings definitiv nicht in die akustische Komfortzone. Der Sound der Vorgängeralben Fetish Bones oder Analogue Fluids Of Sonic Black Holes bleibt in all seiner Harschheit erhalten. Eine Verwässerung zu kaffeehausfreundlichem Trip-Hop für Menschen, die Massive Attack nachtrauern, findet nicht statt.

ANTI- Records

Mit einem die Nackenhaare aufstellenden Violin- oder Synthesizersamples, die ohne Predigtstuhl gut als Soundtrack für jene Filme taugen würden, bei denen man vor den entscheidenden Jump-Scare-Momenten draufkommt, dass man noch dringend etwas aus der Küche holen muss, kommt man auch gut gegen manchmal irrlichternde und mit Haschkeksen unterfütterte Flöten- und E-Piano-Passagen an. Die gehen Richtung handwarmer Clubjazz.

Die radikale Free-Phase ihres Idols John Coltrane allerdings behält immer noch die Oberhand. Sie wird auf dem neuen Album, zumindest auf Hoffnung hoffend, um den spirituellen, Zeit und Raum aufhebenden Ansatz seiner schwer unterschätzten Ehefrau Alice Coltrane erweitert. Rituelle Trommeln und Geisterbeschwörung künden vom Armageddon. Danach wird es allen besser, nein, anders oder gar nicht gehen. Den Rest erledigt ohnehin der Boandlkramer.(Christian Schachinger, 7.10.2021)