Konzertpianistin Yulianna Avdeeva.

Foto: Christine Schneider

Wien – Die Arbeit der 36-jährigen Russin Yulianna Avdeeva gleicht der einer Maßschneiderin: Töne wie behutsam gesetzte Nadelstiche, denen ein samtener Melodiefaden folgt. Harmonieflächen wie fein gewebte Stoffe in gedeckten Farben. So klingen wahrscheinlich Anzüge von Ermenegildo Zegna. Bei der zügig angegangenen Polonaise-Fantasie Frédéric Chopins verzichtete Avdeeva im Konzerthaus auf Pomp und Heroismus, dimmte die Höhepunkte ab und widmete sich lieber der Poesie. Bei der Suite Das Leben der Maschinen von Władisław "The Pianist" Szpilman schnurrte sie wie eine Spielzeugeisenbahn durch die Tonlandschaften.

Eine Antiextremistin

Dann die 4. Sonate von Mieczysław Weinberg: Auch hier alles perfekt ausbalanciert und akribisch gearbeitet. Avdeeva ist eine Erzählerin, die ungern schreit. Gutmütig achtet sie auf die ihr anvertraute Töneschar und schaut, dass sie nicht über die Stränge schlagen. Eine Antiextremistin, eine Effektvermeiderin. Beglückend dann die Bandbreite bei Prokofjews 8. Sonate, von den behutsamen Klangzaubereien im Andante sognando bis zu den zugkräftigen Steigerungen im Finalsatz.

Die Zugabe, Chopins nachgelassenes cis-Moll-Nocturne, war dann Perfektion schlechthin und bot überraschenderweise auch einen Zug ins Laszive. (Stefan Ender, 18.10.2021)