The Velvet Underground gelten zu Recht als eine der einflussreichsten Bands aller Zeiten. Hier ein Promotion-Foto aus dem Jahr 1967. Von links: Nico, Sterling Morrison, Maureen Tucker, Lou Reed und John Cale.

Foto: Polydor

Lou Reed, der 2013 verstorbene, zu seiner Heimatstadt wie die Faust aufs Auge passende New Yorker Rock-’n’-Roll-Poet, brachte das Wesen der Rockmusik wie kaum ein anderer auf den Punkt: "Ein Akkord ist eine feine Sache. Mit zwei Akkorden will man es vom Anspruch her wirklich wissen. Nimm drei Akkorde, und du stehst knietief im Jazz."

Im Dokumentarfilm The Velvet Underground von Todd Haynes wird klar, warum es sich bei diesem zeitlebens als mindestens "schwierig" charakterisierten Mann um einen der wichtigsten Songwriter der Geschichte handelt. Gefördert von Andy Warhol, einem bis heute leuchtenden Zentralgestirn der Popkultur, von dem auch gut die Hälfte des bei Haynes zu sehenden Originalfilmmaterials stammt, kam Lou Reed gemeinsam mit Schlagzeugerin Maureen Tucker, Gitarrist Sterling Morrison und vor allem auch seinem ewig verfreundeten Lebensfeind John Cale an Viola und Bass mit dem berühmten Debütalbum von The Velvet Underground mit der Banane auf dem Cover im Jahr 1967 zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt in die Welt.

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Die Band trat zur Hochblüte der Flower-Power-Zeit in schwarzem Leder mit Vampirsonnenbrillen auf. Sie neigte zumindest vom Selbstverständnis her zu einem statt drei Akkorden – und Lou Reed sang gemeinsam mit dem deutschen Topmodel Nico als eiskalter Gundel Gaukelei zu monoton dröhnender und scheppernder, von Minimal Music beeinflusster aggressiver Rockmusik über Sadomaso-Sex, harte Drogen und den Tod.

Das erwies sich zwar als visionär. Immerhin prägen The Velvet Underground noch bis heute so gut wie jede Gitarrenband, die sich mehr der dunklen Seite des Lebens widmet als der Vertonung von Tagebüchern. Angesichts einer Weltjugend, die sich damals über California Dreamin’ nach Sommer, Sonne und Strandurlaub sehnte, stand das Wirken der Band kommerziell allerdings unter einem äußerst ungünstigen Stern.

Hernan Melgarejo

Der musikaffine Regisseur Todd Haynes spürte schon in Superstar den Softrockern The Carpenters dokumentarisch nach. In Velvet Goldmine näherte er sich dem Glamrock, David Bowie und auch Lou Reed in Form eines Spielfilms. In I’m Not There besetzte er Protagonist Bob Dylan mit sechs Schauspielern und Schauspielerinnen.

Der übermächtige Lou Reed dominiert nun in der Doku The Velvet Underground durch seine Abwesenheit. Neben Liveaufnahmen oder einem Interview mit Reeds ewigem Sparringpartner John Cale, der nach seinem frühzeitigen Abgang bei The Velvet Underground 1968 solo übrigens so wie Lou Reed etliche Jahrhundertsongs und -alben einspielte, kommen auch Zeitzeugen wie Experimentalfilmer Jonas Mekas oder der schrullige Songwriter und Fanboy Jonathan Richman zu Wort. Dazu gesellen sich Menschen aus dem Umfeld von Andy Warhols Thinktank und Freak-Anlaufstelle "Factory".

New York im Zentrum

Im Gegensatz zu so vielen anderen Musikdokus beschränkt sich Haynes allerdings während zwei Stunden nicht darauf, mehr oder weniger reflektiert die historische Bedeutung von The Velvet Underground zu behaupten. Der in diesem Zusammenhang gern zu Wort kommende Bono von U2 fehlt hier dankenswerterweise. Auch im Genre einschlägig gebuchte Historiker wurden nicht verpflichtet. Neben dem wie ein böser, knurriger Schatten über dem Film schwebenden Lou Reed nimmt vielmehr die Stadt New York einen zentralen Raum ein, eben auch mit den Mitteln des experimentellen Films. Eine lohnende Angelegenheit.

Lou Reed war übrigens nicht nur schroff und mürrisch. Er hat mit Pale Blue Eyes heimlich auch eines der schönsten Liebeslieder aller Zeiten geschrieben. Das ist allerdings auch ein kleines bisschen böse. Nicht weitersagen! (Christian Schachinger, 22.10.2021)