Tsitsi Dangarembga nutzt die Frankfurter Buchmesse als Bühne für wichtige Anliegen. Die Themen Geschlecht und ethnische Herkunft prägen ihr hierzulande wenig bekanntes Werk.

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Es ist ein Bücherherbst der Entdeckungen. Neben dem Literaturnobelpreis für Abdulrazak Gurnah, von dem seit 15 Jahren kein Buch mehr ins Deutsche übersetzt wurde, was der Penguin-Verlag jetzt ändern will, hält er auch Tsitsi Dangarembga parat. Die Autorin und Filmemacherin aus Simbabwe wird am Sonntag in Frankfurt mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Bloß zwei Bücher gibt es von ihr bisher auf Deutsch zu lesen – was sich relativiert, wenn man weiß, dass die 62-Jährige nur drei Romane veröffentlicht hat. Die haben aber gereicht, um sie zu einer der wichtigsten Autorinnen Afrikas zu machen.

Geschafft hat sie das mit einer Trilogie rund um die in den 1960ern in einem simbabwischen Dorf geborene Tambudzai Sigauke, kurz Tambu. In der Familiengeschichte bricht sich die brutale Historie des Landes, das als Rhodesien bis 1965 bzw. 1980 britische Kolonie war. In Nervous Conditions (1988) erzählt Dangarembga von den ersten Jahren des Mädchens, das nur die Chance auf Schulbildung erhäƒlt, weil sein Bruder stirbt. Nun lasten die Hoffnungen der Familie auf ein besseres Leben auf Tambu. Sie wird schlechter behandelt als die weißen Schülerinnen, kämpft aber. In The Book of Not (2006) flüchtet Tambu dann während des Unabhängigkeitskriegs aus dem Dorf. Trotz schlechten Gewissens studiert sie, heuert in einer Werbeagentur an.

Patriarchat und Kolonialismus

Man darf es das Glück der Tüchtigen nennen, dass im kleinen Orlanda-Verlag, der sich auf Frauen und Weltkultur spezialisiert hat, schon lange die Übersetzung des letzten Bands This Mournable Body (2018) für diesen Herbst geplant war. In Überleben, so der deutsche Titel, kann man einsteigen, ohne die Vorgänger (Aufbrechen liegt seit 2019 bei Orlanda vor, nachdem die Übersetzung von Ilija Trojanow in den 90ern erst erfolglos geblieben war; der mittlere Teil soll 2022 folgen) zu kennen. Tambu ist fast vierzig und hat in der Werbeagentur, wo sie Broschüren voller Lügen für Touristen verfasst, hingeschmissen, weil sie es leid war, dass die weißen Kollegen ihre Namen unter Tambus Slogans setzten. Unverheiratet sind die Aussichten aber schlecht.

Dangarembga erzählt in Du-Form, was einerseits von Tambu distanziert und zudem ihr Gescheitertsein verstärkt: Sie hat nicht einmal die Kraft, selbst von sich zu erzählen. Die von Armut, Antriebs- und Ausweglosigkeit geprägten Tage ziehen sich dahin. Tambu zieht zu einer reichen älteren Dame. Selbst schwarz, hatte ihr Mann es im Zuge der Neuordnung des Landes als einer von wenigen Schwarzen nach der Unabhängigkeit nach oben geschafft. Die sozialen Bruchlinien sind also vielfältig. Nach einem Zusammenbruch wohnt Tambu bei ihrer Cousine, die in Europa gelebt und einen Deutschen geheiratet hat – eine weitere Gelegenheit für Dangarembga, Ungleichheiten zu thematisieren. Gleichzeitig sind dies biografische Stationen auch der 1959 geborenen Autorin selbst, die Teile ihrer Kindheit mit den Eltern in England verbracht und später in Berlin Film studiert hat. Erst seit 2000 lebt sie wieder ständig mit ihrem deutschen Mann und drei Kindern in Simbabwe.

Für Tambu geht es erst bergauf, als sie eine frühere Kollegin trifft, die in Harare eine Agentur für Ökotourismus aufbauen will. Tambus Ringen um Chancen und Selbstbestimmung in einer patriarchalen und kolonial belasteten Welt ist beispielhaft für Dangarembgas Werk. "In Friedenszeiten schrumpft der Krieg", heißt es im Buch. Ende der 1990er, zur Zeit, in der Überleben spielt, sind die blutigen Freiheitskämpfe offiziell vorbei, aber nicht vergangen.

Ganz oft die Erste

Superlative sind nicht weit, wenn man sich mit Dangarembga beschäftigt. Aufbrechen gilt als erster afrikanischer Frauenroman, 2018 wählte ihn die BBC zu einem der 100 Bücher, die die Welt geprägt haben. Die Liste von Dangarembgas Filmen ist länger als die ihrer Bücher, hierzulande aber ebenso unbekannt. Seit 1992 entstehen sie in ihrer eigenen Produktionsfirma Nyerai: Everyone’s Child war 1996 der erste von einer schwarzen Frau gedrehte Film im Land. 2002 gründete Dangarembga die Organsiation Women Filmmakers of Simbabwe, es folgte das International Images Film Festival for Women. "Wenn ihr wollt, dass euer Leiden aufhört, müsst ihr handeln. Handeln kommt aus der Hoffnung", sagt sie. Aktuell läuft in Simbabwe ein Gerichtsverfahren gegen Dangarembga, weil sie gegen Korruption im Land demonstriert hat.

Black Lives Matter und Forderungen nach Diversität haben das Interesse an Literatur farbiger Autoren zuletzt wieder befördert. Dangarembgas Werk ist aber keines, das mit Exotismus einen westlichen Markt bedienen will. Einst hatte sie gar aufgehört, westliche Autoren zu lesen, weil ihr bewusst wurde, dass die ihr nichts zu sagen hatten, sie ausschlossen.

Dabei ist es ausgerechnet für simbabwische Leser schwierig, Dangarembga zu lesen. Das Verlagswesen im Land funktioniert nicht, klagt sie, Bücher aus dem Ausland zu bestellen können sich nur wenige leisten, abgesehen davon, dass zwischen desolater Infrastruktur und Armut Muße zum Lesen fehlt.

"Ich habe nicht das Gefühl, mit meiner Arbeit einen Einfluss auf meine unmittelbare Umgebung zu haben. Das ist entmutigend", sagte Dangarembga deshalb jüngst der Zeit. Weil es unter der Regierungspartei Zanu-PF auch für sie schwer ist, Sponsoren für Drehs zu finden, datiert ihr letzter Film von 2011.

Diese vor Leben vibrierende, dabei kritische Perspektive lohnt, entdeckt zu werden. (Michael Wurmitzer, 24.10.2021)