Foto: Margot Pilz, Bildrecht, Wien, 2021 / Sammlung Verbund, Wien / Daniela Beranek

Hört man hier das Meer rauschen? Vor einer himmelblauen Wand ruht eine kleine Insel aus Sand. Darin steckt eine Palme und bewacht die vermeintliche Idylle. Ihre bedrohte Existenz verkünden angeschwemmte Plastikgranulate. Mit der neuen Installation Kaorle Global übt Margot Pilz Kritik an Umweltverschmutzung und holt ihre legendäre Arbeit Kaorle am Karlsplatz, die sie 1982 vor der Wiener Karlskirche arrangierte, in die Gegenwart. Ein Denkmal als ernüchterndes Pendant. Im Vergleich zu der damals belebten Szene mit tonnenweise Sand und Liegestühlen findet man hier einen menschenleeren Ort im Ausstellungsraum vor. Es ist eine Warnung.

Nach langem Warten widmet die Kunsthalle Krems der in den letzten Jahren gefeierten Künstlerin ihre erste große Einzelschau. Vor einem Monat wurde Pilz 85 Jahre alt, im Sommer erschien ihre von Nina Schedlmayer verfasste Biografie.

Mit der neuen Installation Kaorle Global übt Margot Pilz Kritik an Umweltverschmutzung.
Foto: Christian Redtenbacher

Streift man gemeinsam mit Pilz durch die Retrospektive, ist es fast so, als besuche man einige ihrer Lebensstationen. Die Freude, endlich derart für ihr Werk gewürdigt zu werden, ist der 1936 im niederländischen Haarlem geborenen und seit 1954 in Österreich lebenden Künstlerin deutlich anzusehen.

Aging ohne Anti

Ihre Fotoserien aus der "weißen Zelle" passten perfekt in die nüchterne Säulenhalle, wo die Schau mit ihrem Frühwerk startet, findet sie. Auch die ungerahmte Hängung sei ideal. Von bekannten Arbeiten wie den Sekundenskulpturen geht es zu Werken, in denen sich Pilz in unterschiedlichen Posen auf engem Raum fotografiert.

Viele wüssten gar nicht, dass sie sogar zwei solcher Zellen besaß, erzählt sie. Die eine war so groß und breit, wie sie selbst groß ist: 1,65 Meter mal 1,65 Meter. Und die andere könne man sich als boxartiges Modell vorstellen, das sie mit Spiegelscherben und verkleinerten Aufstellern mit Fotos von sich selbst bespielte. Wo Schärfe und Kontrast variieren, sei sie auf der Suche nach ihrer Identität gewesen.

Der Ausstellungstitel Selbstauslöserin deutet einerseits auf ihre oft mit Selbstauslöser fotografierten Bilder und andererseits auf ihre Bedeutung als Künstlerin der feministischen Avantgarde hin. Als Mitglied des feministischen Künstlerinnennetzwerks IntAkt mischte Pilz Ende der 1970er-Jahre die österreichische Kunstszene auf.

Gemeinsam mit Kolleginnen wie Karin Mack oder Linda Christanell entstand die Fotoserie Wir über uns mit Ganzkörper-Nacktbildern. Pilz wiederholte das Projekt 2010 und stellt es nun der Schwarz-Weiß-Vorlage gegenüber. Fast 30 Jahre liegen dazwischen.

Arbeiten wie Anti-Aging (Work Out), auf denen Pilz Gewichte stemmt, beschäftigen sich mit dem Altern – speziell als Frau. In dem Spiegel-Selfie Old Age Deformation aus dem Jahr 2012 beschäftigt sich Pilz ganz offen mit der Veränderung ihrer Taille – "sehr lästig", so ihr Kommentar. Mit Humor geht sie mit solchen Tabuthemen um.

Noch vor der Eröffnung performte sie in der fertigen Ausstellung in Krems: einmal schwarz gekleidet, einmal weiß und einmal nackt.

Wie vielseitig ihr Werk ist, machen auch neuere Keramiken und Videoarbeiten aus den frühen 1990er-Jahren deutlich. Warum Pilz als Pionierin der österreichischen Medienkunst gilt, veranschaulichen aufregende Skulpturen aus Stahl, Blech oder Plexiglas, die an Radarboxen erinnern und mit kleinen Bildschirmen ausgestattet sind.

Jetzt sind die Frauen dran

Biografische Themen behandeln Videos wie Celebration, in dem Pilz den Tod ihrer Mutter verarbeitet, oder Once Upon My Time – Java 1942. Darin werden traumatische Erinnerungen aus dem Konzentrationslager der japanischen Besatzungsmacht, in dem Pilz mit ihrer Mutter in der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien inhaftiert war, wach: Immer wieder verbeugen sich die Schauspielerinnen und stampfen Reis. Dieses Kapitel ihres Lebens arbeitete sie erst spät auf und stellte sich ihm künstlerisch in einer Performance 2014 im Wiener Künstlerhaus. Auch in ihrer Biografie wird darüber ausgiebig berichtet.

In der Videoarbeit "Celebration" beschäftigt sich Margot Pilz, die sich früh für digitale Kunstformen zu interessieren begann, mit dem Thema Vergänglichkeit.
Foto: Margot Pilz, Kooperation: Victoria Coeln, Courtesy of Galerie 3

So zieht man vorbei an Arbeiten der vergangenen Jahre, um am Ende der Ausstellung von einem ganz neuen Werk überrascht zu werden. Fast frech flackert eine Skulptur aus Neonröhren an der Wand: Die Fingerspitzen zweier weiblich anmutenden Figuren berühren sich, und ein Lichtchen springt an.

Ganz nach Michelangelos Vorbild zeigt Pilz mit Göttin schuf Eva ihre eigene, feministische Interpretation des ikonischen Deckengemäldes. Jetzt sind die Frauen dran! Seitlich wird ein kleiner Bogen durchgestrichen – es ist Adams Rippe. Auch das ist eine Warnung. (Katharina Rustler, 25.10.2021)