Filmstill aus der dreiteiligen Videoarbeit "Fleshbacks" von Belinda Kazeem-Kaminski.
Foto: Belinda Kazeem-Kaminski

Zwei Eingänge führen ins Innere. Für ihre neue Ausstellung hat die Kunsthalle Wien die große Halle der Länge nach geteilt: rechts Ana Hoffner ex-Prvulovic*, links Belinda Kazeem-Kamiński. Beides in Wien lebende Künstlerinnen, beide multidisziplinär tätig, für beide ist es die erste große Soloschau. Egal für welche Türe man sich entscheidet, durch mittige Öffnungen gelangt man irgendwann in den anderen Bereich.

Kolonialismus, Macht, Heteronormativität werden beidseitig als politische Instrumente entlarvt. Ihnen stehen Queerness und kritische Umdeutung gegenüber. Beide ermitteln heute noch erkennbare Spuren von Unterdrückung – und machen sie in ihren fiktiv-dokumentarischen Arbeiten sichtbar. Ihre Methoden unterscheiden sich jedoch.

Beginnen wir bei Ana Hoffner ex-Prvulovic*, die sich mit ihrem Suffix-Nachnamen auf ihre serbische Herkunft bezieht. Eines ihrer Werke befindet sich an der Fassade der Kunsthalle: Auf Messingplatten listet sie Unternehmen auf, die ihre Produktion in Gefängnisse auslagern und so billige Arbeitskräfte ausbeuten. In der Schau rufen knallige Plakate: "Intolerable!" Es sind Slogans, die aus dem 1970 verfassten Manifest der Prisons Information Group stammen, der unter anderem Michel Foucault angehörte.

Mindmap: In der Serie "Private View" deckt Ana Hoffner ex-Prvulovic* dubiose Verstrickungen von Kulturinstitutionen auf– und zeigt Beweise.
Foto: www.kunst-dokumentation.com

Krimi der Vergangenheit

Als weiteren Teil der Arbeit fügt die Künstlerin Fotos der Fabrik ihrer Heimatstadt hinzu, die mit der österreichischen Strabag zusammenarbeitete, um zu überleben. Und verweist auf angebliche Vorwürfe, das Bauunternehmen würde serbische Arbeitskräfte durch Gefängnisarbeit ausbeuten. Ein Strabag-Werbefilm wird mit Clips einer Punkrockband aus Belgrad gemischt. Diese Strategie der vielschichtigen Aufarbeitung kehrt immer wieder. Realitäten verschwimmen zu Assemblagen. In der Serie Private View werden Verstrickungen von Kulturinstitutionen mit der Waffenindustrie oder NS-Vergangenheit offengelegt.

Das jüngste Beispiel versammelt Material wie in einem Krimi-Mindmap zur Milliardärin und Kunstsammlerin Heidi Goëss-Horten und ihrem geplanten Museum. Neben Infos finden sich Reproduktionen einer jüdischen Künstlerin aus der Sammlung sowie Fassadenteile eines der Kaufhäuser, die ihr Ehemann Helmut Horten – mit dessen Erbe sie die Sammlung ausbaute – im Zuge der NS-Arisierung aufgekauft hatte.

Was auf der einen Seite sehr konzeptionell und in Werkserien passiert, ist bei Belinda Kazeem-Kamiński verwobener und poetisch. Die Preisträgerin des Catrin-Pichler-Preises schafft vor allem Videos und Fotografien, wobei sie sich immer auf Archivmaterial bezieht. Meist geht es dabei um Auseinandersetzungen mit kolonialem Erbe. Wobei sie in Videoarbeiten wie The Letter oder Fleshbacks, die auf einem Brief einer westafrikanischen Frau basieren, die 1896 bei einer "Völkerschau" vorgeführt wurde, versucht, einen gegenwärtigen Blick auf Vergangenes zu werfen.

Wegweiser: Die multidisziplinären Werke von Belinda Kazeem-Kaminski legen rassistische Machtgesten offen.
Foto: www.kunst-dokumentation.com

Rassistische Machtgeste

Die künstlerischen Methoden, die sie dafür findet und mit Schwarzer feministischer Theorie verknüpft, sind erstaunlich vielfältig. Wie ein Wegweiser steht da eine Metallkonstruktion mit Fotografien ethnologischer Expeditionen. Ethnografen strecken darauf ihren Arm zur Seite, um ihre Körpergröße im Vergleich zu Bewohnern der Kolonien zu demonstrieren. Diese hat die Künstlerin zensiert und verdeutlicht so die rassistische Herablassung der Machtgeste. In eine Fotografie von Ella Williams, die als "African Giantess" Ende des 19. Jahrhunderts durch Europa tourte, greift die Künstlerin schließlich ein, lässt den Arm sinken und verkleinert sie.

Die von Anne Faucheret kuratierte Schau, die ja eigentlich aus zwei Ausstellungen besteht, funktioniert in ihrer separierten Zweisamkeit und Vielfältigkeit. Sie findet eine schöne Balance zwischen starken politischen Stimmen zweier Künstlerinnen, die Traumata der Vergangenheit auf komplexe Weise verarbeiten. Und bietet einen Zugang dazu – sogar mit zwei Eingängen. (Katharina Rustler, 28.10.2021)