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Begab sich auf Ingmar Bergmans Spuren auf die Insel Fårö: Regisseurin Mia Hansen-Løve.

Foto: Vianney Le Caer / Invision / AP

In Mia Hansen-Løves Bergman Island beziehen die Protagonisten Chris (Vicky Krieps) und Tony (Tim Roth), beide Regisseure, eine Künstlerresidenz im Haus des 2007 verstorbenen Kultregisseurs Ingmar Bergman auf der schwedischen Insel Fårö. In dem semiautobiografischen Film geht es um Inspiration, künstlerische Klarheit – und das Streben nach Sinnlichkeit und Helligkeit.

STANDARD: Chris möchte im Haus von Ingmar Bergman an ihrem eigenen Film schreiben, doch sie fühlt sich dort wie eine Verliererin. Wie geht es Ihrer Filmfigur, und wie geht es Ihnen als Regisseurin angesichts des Geniekults um Regisseure wie Bergman?

Hansen-Løve: Chris ist in vielem sehr viel unsicherer, als ich es bin. Ihre Zweifel, ihr fehlendes Selbstbewusstsein reflektieren eher die Person, die ich war, als ich begann, Filme zu machen. Ich habe mittlerweile gelernt, meine Fragilität und Schwäche anzunehmen und ihnen Stärke abzugewinnen. Bergman wiederum ist einer der Regisseure, dessen Werk und Leben mich als Filmemacherin begleitet haben. Ich bin fasziniert von seiner Aura und kann seine Präsenz, seine Gemütszustände, sein Schreiben – sein Leben – nicht von seinen Filmen trennen. In Making-offs zu seinen Dreharbeiten spürt man außerdem die Freude, die er am Set hatte. Das berührt mich sehr.

STANDARD: Ich hatte den Eindruck, dass Sie zwar die Perspektive der Frau einnehmen, dass Sie Ihre männlichen Counterparts aber nicht in Stereotype pressen. Vielmehr entziehen sich diese, haben Geheimnisse.

Hansen-Løve: Danke, dass Sie das sagen. Denn mir wurde oft gesagt, dass ich die Perspektive der Frau einnehme, um sie gegen den Mann zu verteidigen. Aber das war nie meine Intention. Ich erzähle die Geschichte aus Chris’ Perspektive, weil es die Geschichte ihrer künstlerischen Emanzipation ist. Doch Tony ist ebenso komplex. Der Fakt, dass er diese dunklen Fantasien in seine Notizbücher zeichnet, aber nicht darüber sprechen kann – seine Geheimnistuerei –, zeugt von einer anderen Art der Fragilität. Chris braucht den Austausch mit ihm, er aber möchte sich schützen. Tony wirkt arrivierter und selbstbewusster, aber er ist nicht der starke Mann, für den alles einfach ist. Ich würde sogar sagen, dass auch Bergman, der wegen seiner vielen Kinder von verschiedenen Frauen wie ein Ungetüm wirkt, seiner Verletzlichkeit und seinen Ängsten in seinen Filmen Ausdruck verleiht.

STANDARD: Sie haben aber offenbar einen anderen Weg eingeschlagen. Sie setzen auf Humor, Popsongs und Licht statt wie Bergman auf Düsternis und klassische Musik. Warum?

Hansen-Løve: Das liegt an dem, wonach wir suchen, wenn wir Filme machen. Ich glaube, dass es für Bergman kathartisch war, Filme über seine Dämonen, seine schrecklichsten Albträume zu machen. Er hätte nicht immer wieder die schlimmsten Seiten der Menschen erforscht, wenn es ihm keine Erleichterung verschafft hätte. Ich könnte nie nur den Tod, die Qualen, die Brutalität menschlicher Beziehungen zeigen. Die Filme, die ich mache, müssen mich zum Licht führen. Deshalb wähle ich Popmusik, Helligkeit, Humor, denn das kommt dem näher, was das Kino mir geben soll – eine Art zu leben. Das Kino hat mich mit 20 gerettet und soll mir jetzt helfen, besser zu leben. Natürlich erforsche ich nicht nur fröhliche Momente, sondern auch Ängste und Schwierigkeiten. Wenn ich wählen kann, wähle ich diejenige Richtung, die mich zum Licht führt. Die Spannung in all meinen Filmen besteht also in einer doppelten Suche: Wie kann man wahrheitsgemäß, ehrlich und klar über die Grausamkeit des Lebens sprechen und gleichzeitig eine Art von Rettung anbieten, eine Liebe zum Leben?

IFC Films

STANDARD: Ihrem Film gelingt das gut, auch durch die Musik, u. a. von Abba. Ist "Bergman Island" auch eine Hommage an schwedische Popmusik?

Hansen-Løve: Ich liebe Abba einfach. Wenn man darüber nachdenkt, wer die zwei größten Stars in Schweden sind, dann wären Abba und Bergman die ersten zwei Namen, die genannt werden würden. Ich fand es lustig, beiden in meinem Film Raum zu geben: der Popkultur und der Hochkultur. Aber ich mag vor allem den Song The Winner Takes It All, weil er leidenschaftlich, tanzbar und zugleich sehr melancholisch ist. Der Song begleitet mich schon lange Zeit, und sobald ich anfing, Bergman Island zu schreiben, wusste ich, dass er dort vorkommen wird.

STANDARD: Apropos Leidenschaft. Vicky und ihr Alter Ego Amy sind sehr direkt in ihrem Begehren, sie tragen nie BHs, sind auf ihre Art sehr sinnlich. War weibliches Verlangen ein wichtiger Aspekt für Sie?

Hansen-Løve: Ja. Der Film handelt von dem Begehren der Frau nach Sinnlichkeit in ihrem Leben. Auch das ist Teil ihres kreativen Schaffens. Das ist ein weiterer Grund, warum ich mich von Bergmans Filmen so angesprochen fühle. Obwohl er so streng, so enthaltsam wirkt, war Sinnlichkeit für ihn ganz zentral. Chris’ Figur Amy (Mia Wasikowska) im Film im Film drückt auch dieses Bedürfnis aus. Sinnlichkeit ist immer ein treibender Faktor beim Geschichtenerzählen. Deshalb: Ja, ich finde, dass Sinnlichkeit, sogar Erotik, im Herzen meines Films liegt.

STANDARD: Ursprünglich waren Greta Gerwig und Owen Wilson in den Hauptrollen geplant. Ich denke, dass sie nicht die Erotik, sondern die Komik des Films verstärkt hätten. Wie haben Vicky Krieps und Tim Roth Ihren Film geprägt?

Hansen-Løve: Sie brachten den Film wieder näher an mich heran. Als Greta wegen Little Women den Dreh verlassen musste, dachte ich unmittelbar an Vicky Krieps, weil ich sie in Phantom Thread so mochte. Vicky ist viel eher ein Alter Ego von mir selbst, und Tim Roth bringt die dunkle, komplexe Seite seiner Rolle hervor. Obwohl ich zu der Entscheidung gezwungen wurde, die Besetzung in letzter Minute zu ändern, bin ich glücklich über das Ergebnis. (Valerie Dirk, 29.10.2021)