Am Dienstag jährte sich der Terroranschlag von Wien, bei dem vier Menschen getötet wurden. Im Gedenken an die Opfer haben Passanten, aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Politik am damaligen Tatort nun wieder viele Kerzen entzündet.

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Zwischen 70.000 und 80.000 Gewalttaten werden jährlich in Österreich verübt. Doch nur ein kleiner Teil der Opfer macht Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz geltend. Viele wissen gar nicht, dass es neben einer Zivilrechtsklage auf Entschädigung gegen Täter auch die Möglichkeit gibt, vom Staat Geld für erlittenes Leid und dessen Bewältigung zu erhalten. Die Gedenkfeiern zum Jahrestag des Wiener Terroranschlages haben auch dieses Verbrechensopfergesetz wieder in Erinnerung gebracht – oder besser gesagt, die bürokratischen Hürden, die Opfer auf sich nehmen müssen, um Entschädigung vom Staat zu erhalten.

Extrafonds mit 2,2 Millionen Euro

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Regierung erst vor wenigen Wochen einen zusätzlichen Entschädigungsfonds für die Terroropfer geschaffen hat, der mit vorerst 2,2 Millionen Euro gefüllt ist. Rechtsvertreter der Hinterbliebenen der vier Todesopfer beziehungsweise der Opfer, die physische oder psychischer Verletzungen erlitten haben, begrüßen zwar die Einrichtung des Extrafonds, beklagen aber den bürokratischen Aufwand. Im ORF-Report am Dienstagabend sprach Rechtsanwalt Matthias Burger von einem regelrechten "Formularwirrwarr".

Bescheidene Summen

Rechtsanwalt Nobert Wess weist zudem in der STANDARD-Videodoku "Neun Minuten – ein Jahr danach" darauf hin, dass bisher erfolgte Entschädigungszahlungen sehr bescheiden aufgefallen seien. Er vertritt die Kunststudentin aus Deutschland, die an dem verhängnisvollen Abend am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt, wo sie als Kellnerin jobbte, erschossen worden war. Der Familie habe bisher 2.000 Euro Schmerzensgeld sowie 3.800 Euro als Beitrag für die Begräbniskosten erhalten. Dabei habe allein die Überstellung des Leichnams nach Deutschland 10.000 Euro ausgemacht, so Rechtsanwalt Wess.

Zuständig für Anträge nach dem Opferschutzgesetz ist das Sozialministerium, Anträge können auch online gestellt werden. Man kann sich aber auch an die Opferschutzorganisation Weißer Ring wenden, die unter der Telefonnummer 0800 112 112 Beratung anbietet. Im Fall des Wiener Terroranschlages haben bisher 48 Menschen entsprechende Anträge gestellt. Und es wurden in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Euro an Pauschalentschädigungen nach dem geltenden Verbrechensopfergesetz geleistet.

Gesetzliche Pauschalbeträge

Das Gesetz sieht für Anspruchsberechtigte nach einer erlittenen Körperverletzung beziehungsweise Gesundheitsschädigung Pauschalbeträge vor, die je nach Schweregrad zwischen 2.000 und 12.000 Euro ausmachen. Abgegolten werden sowohl physische als auch psychische Schmerzen, wobei diese einer schweren Körperverletzung gleichkommen müssen. Bei der Bemessung wird die individuelle Situation der Opfer berücksichtigt, in der Regel werden auch medizinische Sachverständige beigezogen. Erhöhungsanträge sind zulässig. Der Verein Weißer Ring wickelt auch Anträge ab, die über die Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz hinausgehen.

Anträge nach dem Verbrechensopfergesetz können auch gestellt werden, wenn das Verbrechen schon einige Jahre her ist. Es gibt aber bestimmte Fristen. Entschädigungen für eine Psychotherapie etwa gibt es nur für Fälle, die bis ins Jahr 1999 zurückreichen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Weiße Ring schon vor der Zuerkennung der endgültigen Hilfeleistung eine Vorschusszahlung in der Höhe von bis zu 10.000 Euro leisten.

Betroffene besser informieren

Udo Jesionek, Präsident des Weißen Ringes, fordert generell, dass Opfer von Verbrechen besser und schneller über ihre Rechte aufgeklärt werden. "Oft werden selbst Opfer von schwerer situativer Gewalt von der Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder vom Gericht nicht über ihr Recht auf Entschädigung und Hilfsleistungen belehrt", beklagte Jesionek bei einer Fachtagung im Februar.

Geld kann nie für den gewaltsamen Tod eines Menschen entschädigen, aber zumindest Folgekosten ersetzen. Die bisher genannten Summen zeigen aber, dass die staatlichen Hilfsgelder für Verbrechensopfer eher nur ein kleiner Beitrag sind.

Erhöhung in Aussicht

Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner fordert deshalb eine Evaluierung und Anpassung des Verbrechensopfergesetzes, "um den Opfern von Terroranschlägen und den Hinterbliebenen von ermordeten Terroropfern rasch und unbürokratisch eine angemessene Entschädigungsleistung zu garantieren". Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ließ zuletzt durchblicken, dass der Extrafonds für die Terroropfer noch erhöht werden könnte.

Derzeit klaffen die Vorstellungen von Opfern und Staat jedenfalls noch weit auseinander. Die Mutter eines Terroropfers hat die Republik bereits auf 125.000 Euro geklagt, davon 80.000 Euro Schmerzensgeld. (Michael Simoner, 3.11.2021)