Ein Einblick in die Mumok-Ausstellung "Enjoy!".

KLaus Pichler, Mumok

Mit einem isolierten, expressiven Pinselstrich scheint die in Wien lebende Julia Haller in "Untitled" von 2018 die Idee von Action-Painting zu zitieren

Mumok

Naoko Kaltschmidt ist Kuratorin und seit 2011 im Mumok tätig. Zusammen mit Matthias Michalka ist Kaltschmidt für das Programm im Mumok-Kino verantwortlich.

Klaus Pichler, Mumok

Zwei Frauenkörper bei Maria Hahnenkamp: Grenzüberschreitungen werden oft im Motiv der Kleidung erkennbar.

Bildrecht Wien 2021

Was bleibt, wenn die Kunstaktion vorbei ist? Naoko Kaltschmidt widmet sich in dem von ihr kuratierten Bereich Re/Aktionen der Aktionskunst und ihrer Flüchtigkeit.

STANDARD: Performancekunst ist aufgrund ihrer vielen Facetten nicht leicht zu präsentieren. Wie sind Sie in Ihrem Ausstellungskapitel an diese Aufgabe herangegangen?

Kaltschmidt: Es geht genau um dieses Spannungsverhältnis zwischen der Aktion einerseits, die ja immer zeitlich bedingt und ephemer ist, und andererseits dem, was von der Aktion bleibt. Daran knüpfen sich Fragen der Darstellbarkeit und Rezeption. Die Beschäftigung mit den künstlerischen Herangehensweisen war sehr produktiv. In Songdelay (1973) von Joan Jonas etwa sind Überlegungen zur medialen Umsetzung der Performance integraler Bestandteil der Arbeit. Durch die Gegenüberstellung von historischen und neueren Beständen der Sammlung können neue Zusammenhänge hergestellt werden, etwa wenn Anna Artaker 2008 explizit auf einen Film von Kurt Kren von 1960 Bezug nimmt, oder bei Julia Hallers Arbeit, wo ein isolierter, expressiver Pinselstrich die Idee von Action-Painting zu zitieren scheint.

STANDARD: Die Performances der Wiener Aktionisten wirken expressiv und "aus dem Bauch heraus", aber sie waren meist sorgfältig geplant. Besteht die Gefahr, dass die begleitende Präsentation von Plänen, Skizzen oder Partituren ihnen etwas von der Ausdrucksstärke nimmt?

Kaltschmidt: Diese Differenz zur unmittelbaren Aktion zeigt, was für ein Potenzial im Archiv steckt: Die diversen Dokumente erfordern zwar eine eingehendere Auseinandersetzung, dadurch erschließt sich aber ein umfassenderes Verständnis.

STANDARD: Während der Wiener Aktionismus mit radikalen Körperattacken schockierte, arbeiteten andere Performances aus den 1960er- und 70er-Jahren oft nahe am Alltag. Welche Gesten spricht Hannah Wilkes Videoperformance "Gestures" an, in welcher sie 1972 ihr Gesicht bearbeitete?

Kaltschmidt: Der weibliche Körper und der Blick auf ihn sind natürlich vielfach kodiert. Hannah Wilke setzt sich diesem (Kamera-)Blick schonungslos aus, indem sie uns ihr Gesicht frontal entgegenstellt: Gesten verstanden als eine vieldeutige Körpersprache, die hier zwischen alltäglichen Bewegungsabläufen und latenter Gewalt oszilliert.

STANDARD: Spricht aus Arbeiten Ihrer Schau auch der Wunsch, den Körper und seine (geschlechtlichen) Grenzen zu überwinden?

Kaltschmidt: Dieses Interesse an Grenzüberschreitungen lässt sich in historischen und jüngeren Arbeiten ausmachen, was sich oft im Motiv der Kleidung manifestiert: Wie wir uns kleiden, beeinflusst auch unsere alltägliche Selbstinszenierung – ob affirmativ oder konfrontativ, reagieren wir damit auf Konventionen und Erwartungshaltungen.

STANDARD: Die Künstlerin Valie Export schuf mit ihrem Foto "Genitalpanik/Hose" 1968/69 eine Ikone der feministischen Kunst. Sie posierte damals mit nacktem Schritt und Waffe – ein Fanal zum Geschlechterkampf?

Kaltschmidt: Die Arbeit wird auch heute noch als starkes, provokantes Statement verstanden. Interessant bei der von Valie Export konzipierten Präsentation ist, dass nicht nur einige Fotografien zu sehen sind, die im Zusammenhang mit dieser Aktion entstanden, sondern auch die zwischen den Beinen aufgeschnittene Hose selbst. Beim Kleidungsstück handelt es sich alleine nur um eine Requisite oder auch ein Relikt, ein wesentlicher Aspekt jedoch fehlt: die Künstlerin in Aktion.

STANDARD: In mehreren Werkreihen beschäftigt sich Carola Dertnig mit dem Wiener Aktionismus. Was reizte sie an den Zelluloidstreifen des Filmemachers Ernst Schmidt jr., eines Wegbegleiters von Brus, Nitsch und Co?

Kaltschmidt: Carola Dertnig nimmt eine sehr wichtige, weil dezidiert feministische Perspektive auf dieses prominente Kapitel der österreichischen Kunstgeschichte ein. Ernst Schmidt jr. hat wie Kurt Kren einige Filme geschaffen, die Aktionen aus diesem Umfeld nicht bloß wiedergeben, sondern eigenständige künstlerische Auseinandersetzungen darstellen – was durchaus zu Konflikten führte. Dertnig nimmt darauf Bezug, indem sie sein Filmmaterial wiederum in ein anderes Medium überträgt und es sich auf diese Weise bewusst aneignet.

STANDARD: Auch Malerei taucht in "Re/Aktionen" auf. Jutta Koether füllt für "Universal Wealth" einen Glasschrein mit Kleingemälden roter organischer Formen. Verleiht sie der Leinwandkunst eine Art neuen Körper?

Kaltschmidt: Jutta Koether ist mir in diesem Zusammenhang wichtig: Die Tatsache, dass in ihrer künstlerischen Praxis als Malerin auch das Performative relevant ist, ihre Auseinandersetzung mit einem männlich dominierten Malereikanon und weiblich konnotierten Formenvokabular – und nicht zuletzt das Bewusstsein und Nachdenken über ihre Rolle als Künstlerin.

(INTERVIEW: Nicole Scheyerer, 5.11.2021)