Damit beim Einschenken nichts daneben geht, muss der Strahl eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit haben, wie jeder Küchenphysiker weiß.
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Manche Dinge sollten mit einem gewissen Schwung angepackt werden. Dazu gehört auch das Ausschenken aus Gieß-, Tee-, Kaffee- oder sonstigen Kannen: Die meisten Menschen dürften schon die Erfahrung gemacht haben, dass ein zu langsames Gießen dafür sorgt, dass der Strahl nicht mittig im angepeilten Gefäß landet. Stattdessen fließt die Flüssigkeit um die Ausgusskante herum, an der Kanne entlang und nach unten. Im schlimmsten Fall trifft das dann ererbte Spitzendeckchen, elektronische Geräte oder die Haut eines geschätzten Lebewesens.

Viele Forschende haben sich bereits mit dem Effekt beschäftigt, 1999 gab es sogar einen Ig-Nobelpreis dafür. Bernhard Scheichl von der Technischen Universität Wien hat weitere theoretische Analysen und Experimente angestellt und das Phänomen nun offenbar vollständig und detailliert beschrieben, gemeinsam mit zwei Kollegen des University College London, wie es im Fachblatt "Journal of Fluid Mechanics" heißt.

Rheologie in der Praxis

Erstmals beschrieben wurde der "Teekanneneffekt" 1956, und zwar durch den österreichisch-israelischen Wissenschafter Markus Reiner (1886–1976), teilte die TU Wien mit, wo Reiner 1913 promoviert wurde. 1922 ging er nach Palästina (später Israel), wo er zu einem Pionier der Rheologie, der Wissenschaft vom Fließverhalten, wurde.

Bernhard Scheichl vom TU-Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung und dem Exzellenzzentrum für Tribologie "AC2T research" in Wiener Neustadt hat sich nun mit den britischen Kollegen erneut des Effekts angenommen. Dieser sei scheinbar simpel, es sei allerdings "bemerkenswert schwierig, ihn im Rahmen der Strömungsmechanik exakt zu erklären", sagt Scheichl.

Kraftgesteuerte Tropfenbildung

Die entscheidende Stelle ist die scharfe Kante an der Unterseite des Ausgusses: Dort bildet sich ein Tropfen, dessen Größe davon abhängt, mit welcher Geschwindigkeit die Flüssigkeit aus der Kanne fließt. Gießt man zu langsam aus, kann diese minimale Benetzung dafür sorgen, dass der gesamte Strahl um die Kante herum gelenkt wird und entlang der Teekanne abfließt.

TU Wien

"Uns ist es nun erstmals gelungen, eine vollständige theoretische Erklärung dafür zu liefern, warum sich dieser Tropfen bildet und die Unterseite der Kante immer benetzt bleibt", sagt Scheichl. Es handle sich um ein Zusammenspiel verschiedener Kräfte wie Trägheits- und Kapillarkraft, das für eine minimale Benetzung direkt an der Kante sorgt.

Während die Trägheitskraft dafür sorgt, dass die Flüssigkeit dazu tendiert, ihre ursprüngliche Richtung beizubehalten, bremsen Kapillarkräfte an der Oberfläche des Kannenschnabels. Dabei kommt es auf das Material sowie auf den Kontaktwinkel zwischen Wand und Flüssigkeitsoberfläche an. Je kleiner dieser Winkel ist oder je benetzbarer das Material des Schnabels ist, desto stärker der Bremseffekt – und desto eher geht etwas daneben. Dagegen hilft also ein möglichst wasserabweisendes Material und ein großer Winkel unter dem Flüssigkeitsstrahl. Das heißt: schwungvoll in großem Bogen ausschütten oder eine Kanne mit nach unten gebogenem Schnabel verwenden.

Kein Effekt ohne Schwerkraft

Die Stärke der Schwerkraft spielt dabei übrigens keine entscheidende Rolle, sie legt nur die Richtung fest, in die der Strahl gelenkt wird. Auf dem Mond wäre der Teekanneneffekt also auch zu beobachten, betonen die Forscher, völlig ohne Schwerkraft, also etwa auf einer Raumstation, hingegen nicht.

Zusätzlich zu den theoretischen Berechnungen haben die Wissenschafter auch zahlreiche Experimente durchgeführt: Sie gossen mit unterschiedlichen Durchflussraten Wasser aus einer geneigten Teekanne aus und filmten dies mit Spezialkameras. So konnten sie genau zeigen, wie die Benetzung der Kante unterhalb einer kritischen Ausgussgeschwindigkeit zum Teekanneneffekt führt. (red, APA, 8.11.2021)