Felicitas Hoppe (geb. 1960) ist eine deutsche Autorin, sie wurde u. a. 2012 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Im Herbst ist ihr neuestes Buch "Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm" (S. Fischer) erschienen. Die Autorin lebt in Berlin.

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Navid Kermani wird in Krems lesen – und geehrt.

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Najem Wali wird ebenso beim Festival auftreten.

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Die Autorin Kapka Kassabova wirft feministische Blicke aufs Reisen.

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Johny Pitts Buch "Afropäisch" sorgte letztes Jahr für Aufsehen.

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Mit den Themen Reisen und Fremde setzen sich die heurigen Europäischen Literaturtage in Krems auseinander. In einer Soiree am 19. November ist unter anderem die deutsche Autorin Felicitas Hoppe zu erleben, deren preisgekrönte Romane häufig auf Reiseerfahrungen fußen.

STANDARD: Sie gelten als große Reisende. Was bedeutet das Reisen für Sie?

Hoppe: Dass ich als "große Reisende" gelte, ist Wahrheit und Mythos zugleich. Denn eigentlich bin ich eher der "Stubenhockertyp" und blieb als Kind am liebsten – schreibend! – zu Hause. Bis mir irgendwann, sehr viel später, aufging, dass Schreiben – und Fantasieren – allein eben doch nicht reicht, sondern dass es hin und wieder notwendig ist, seine Texte an die Frischluft des "wirklichen Lebens" zu halten und zu schauen, wie Innen- und Außenwelt miteinander korrespondieren. Eine Art Abgleich also. Und ein Freiraum, den sich selbstverständlich nicht jeder leisten kann.

STANDARD: Verändert das Reisen die Art, wie man schreibt?

Hoppe: Das Reisen und Unterwegssein bedeutet für mich eine Veränderung in der Motorik des Schreibens. Um zu schreiben, ist für mich inzwischen nicht nur geistige, sondern auch konkret physische Bewegung unabdingbar geworden.

STANDARD: Denken Sie, das Lesen hat in Zeiten der Pandemie das Reisen in gewisser Weise ersetzt?

Hoppe: Natürlich ist auch das Lesen eine Art des Reisens, und zumindest unter ökologischen Aspekten richtet der lesend Reisende vermutlich weit weniger Schaden an als der, der tatsächlich ein Flugzeug besteigt. Trotzdem lässt sich das eine nicht durch das andere ersetzen. Inzwischen hat uns Corona allerdings darüber belehrt, dass wir auf den einen oder anderen Trip ohne Not verzichten könnten. Zugleich haben die Reisebeschränkungen dazu geführt, dass wir anders über mögliche Bewegungen in Zeit und Raum nachdenken.

STANDARD: Inwiefern?

Hoppe: Das Entscheidende ist nicht die Entfernung, sondern die Erfahrung, dass wir grundsätzlich unterwegs sind – das geht auch wandernd, zu Fuß, in der Nachbarschaft. Und umso besser, wenn man dabei ein Buch in der Tasche hat.

STANDARD: Ihr aktueller Roman ist eine Auseinandersetzung mit den Nibelungen – warum dieser Stoff?

Hoppe: Mit den Nibelungen befasse ich mich schon seit mehr als zehn Jahren. Das ist nicht zuletzt meinem Hang zu mittelalterlichen Stoffen geschuldet, von denen ich fest überzeugt bin, dass sie weit mehr mit unserer Gegenwart zu tun haben, als wir gemeinhin annehmen. Ich halte die Beschäftigung damit vor allem deshalb für fruchtbar, weil die Begegnung mit anderen, nur scheinbar vergangenen Zeiten auch eine Art von Reise ist – Zeitreisen statt Raumreisen!

STANDARD: Worauf sind Sie dabei gestoßen?

Hoppe: In den Nibelungen, mit denen mich durchaus eine Art Hassliebe verbindet, finden sich Archetypen, die uns bis heute prägen: Liebe, Wahnsinn, Hass und Gewalt, der Wunsch nach Rache und nach Vergeltung. Lauter Gefühlslagen, die alles andere als überwunden sind. Das hat mich gereizt: diesen Stoff, bei allen Vorbehalten, neu in die Gegenwart hin zu deuten, ohne ihn dabei allerdings zwanghaft aktualisieren oder bloß einfach parodieren zu wollen.

STANDARD: Jüngst ist eine Debatte darüber aufgekommen, ob sich die Gegenwartsliteratur zu wenig mit dem zweifelsohne sehr gegenwärtigen Thema Klimawandel auseinandersetzt ...

Hoppe: Diese Debatte fördert vor allem eines deutlich zutage: dass man in den Feuilletons offenbar immer noch nicht begriffen hat, dass Literatur und Journalismus nach wie vor zwei Paar Schuhe sind. Wer schreibend in aktuelle Debatten eingreifen will, kann und soll dies ohne Not tun. Doch ein Pamphlet oder ein Aufruf sind keine Literatur. Literatur ist auf andere Weise politisch und damit manchmal "politischer" als jeder Zeitungsbericht, weil sie die Probleme des menschlichen Miteinanders auf ihre ganz eigene Weise benennt. Panik mache aber kann niemals ihr Ziel sein. Dazu ist sie, solange es sie nun schon gibt, viel zu sehr mit den menschlichen Widersprüchen vertraut, die in der Politik offiziell keinen Platz haben dürfen. Und darum als unverzichtbar nachdrücklich zu schützen! (Andrea Heinz, 12.11.2021)