Herzstück Ex-Balkan-Club. Pinke Liebe von Hannah Neckel und ein psychedelisches Video von Vidya Gastaldon.

Foto: Wolfgang Thaler

Keine Sorge, wirklich die Kon trolle wird niemand verlieren – viel eher die Orientierung. Oder auch die eigene Körpertemperatur, immerhin hat es im Inneren gleich viel Grad wie draußen. Es ist wieder November, es ist wieder Vienna Art Week. Im Vergleich zum Vorjahr kann die Kunstwoche mit ihrem vielfältigen Programm aber in einem relativ normalen Rahmen stattfinden – vielleicht gerade noch.

Auch die diesjährige Hauptausstellung auf dem Areal des Nordwestbahnhofs darf anders als 2020 vom Publikum besichtigt werden, nicht nur über den Bildschirm. Dafür muss man halt etwas frieren – und einen 2G-Nachweis bringen. Auch wenn das Motto Losing Con trol mehr Action verspricht, als es dann einlöst, lohnt sich das allemal schon der Location wegen.

Kontrollverlust in Grenzen

Steht man vor einem ausrangierten Autohaus, ist man jedenfalls richtig. Zusätzlich zu den Verkaufsflächen macht sich die Ausstellung in zwei riesigen Hallen sowie einem angrenzenden Zinshaus breit, dem es wohl bald an den Kragen gehen wird.

Eine Woche lang befindet sich die Art Week dort in bester Gesellschaft. Kooperationen und Rahmenprogramm sind mit den benachbarten Kultureinrichtungen und in der Stadt geplant. Wegen der tristen Situation der vergangenen Ausgabe wollte man dieses Jahr umso sichtbarer auftreten. Der künstlerische Leiter, Robert Punkenhofer, hat die bisher größte Hauptschau auf dem weitläufigen Areal mit gewohnt bekannten Namen wie Erwin Wurm, Hubert Scheibl oder Elisabeth von Samsonow konzipiert.

Wie erwähnt, hält sich der Kontrollverlust in Grenzen, auch ein großer chaotischer Ausbruch bleibt aus. Zwar windet sich ein 25 Meter langer Wurm aus Karton von Peter Sandbichler durch eine der Hallen und wird von einer wilden Soundarbeit von Ruth Anderwald und Leonhard Grond begleitet, trotzdem muss man viel eher in den hintersten Winkeln dieser Ausstellung suchen – und manchmal auch die Türe hinter sich schließen.

Hühnerfüße und Neon

Ein verspiegelter Raum voller Laub oder ein von oben bis unten mit Farbe beschmiertes Zimmer ist für Kontrollfreaks trotzdem nichts. In dem mehrstöckigen Zinshaus hat das Architekturkollektiv AKT Löcher in die Wände gebrochen. Die unterschiedlichen Räumlichkeiten machen großen Spaß: Hinter jeder Tür wartet eine weitere. Wie die Faust aufs Auge passt die Installation Fukushima – 10 Years later von Hana Usui. In einem Büroraum stehen verwaiste Drehsessel, im angrenzenden Waschraum hängen Netze mit getrockneten Hühnerfüßen und Meeresfrüchten.

Geruchsintensiv ist auch das buchstäbliche Herzstück der Schau: In einem versteckten Ex-Balkan-Club hängt immer noch der Zigarettengeruch in der Luft. Pinkes Neonlicht und psychedelische Bilder durchbrechen die Dunkelheit. Falls man sich bisher beherrscht hat, ist das definitiv der Ort, um sich ungeniert auszutoben. (Katharina Rustler, 13.11.2021)