Eingeklemmt zwischen China und der Schweiz, zwischen Weltraumwahnsinn und selbstironischem Matterhorn-Wanderpfad, muss man auf den ersten Blick, sobald man vor der rot-weiß-roten Repräsentanz steht, unweigerlich an ein paar Dutzend schneebedeckter Berggipfel denken. Wie ein stilisiertes Gebirge steht er da, der österreichische Pavillon, zusammenkonstruiert aus 38 Stanitzeln, die wie in einer geometrischen Schnittmengenlehre ineinandergreifen und eine sehr lustige, lebendige, bis zu 15 Meter hohe Topografie bilden.

"Herzlich willkommen in Österreich", sagt Stephanie Dalton, eine von insgesamt 29 Hosts und Hostessen, die die Gäste durch die künstliche Alpenrepublik führen. Innen sind die Betonkegel mit Schilfmatten und einer vier Zentimeter dicken, schlammbraunen Lehmputzschicht ausgekleidet. Es ist kühl, es riecht angenehm, eine ganz eigenartige Akustik macht sich breit, sobald man anfängt, seine Fragen zu stellen. Was hat das alles mit Österreich zu tun? Wieso gibt’s hier keine Mozartkugeln? Und wo sind die ganzen Fotos von Bergen, Strömen, Äckern, Domen, Hämmern zukunftsreich?

Österreich wollte mit seinem Pavillon einen Kontrapunkt setzen und einen Ruhepol schaffen.
Foto: Andreas Keller

"Genau das wollten wir vermeiden", sagt Gerd Erhartt, Partner bei Querkraft Architekten und Sieger des 2019 vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) ausgelobten Pavillon-Wettbewerbs. "Die Expo ist ein Ort der Reizüberflutung, mit vielen Filmen, die mehr oder weniger touristische Klischees bedienen und das eigene Land verherrlichen. Wir wollten einen Kontrapunkt setzen und einen Ruhepol schaffen, an dem sich die Menschen erholen können. Dadurch soll Österreich den Besuchern langfristig angenehm in Erinnerung bleiben."

Und das könnte durchaus der Fall sein, denn mit 70 Prozent weniger Energieeinsatz als in einem durchschnittlichen Expo-Pavillon gleicher Größe schafft es Österreich, die Innenraumtemperatur auf natürliche Weise um bis zu sieben Grad Celsius zu senken. Möglich wird dies durch weiße Fassadenfarbe, geothermische Luftauslässe, Querlüftung, Kaminwirkung durch die sich nach oben verjüngenden Windtürme (Badgir, Barjeel) sowie die hohe Speicherfähigkeit der Konstruktion, die die Wärme untertags kontinuierlich absorbiert und erst in der Nacht wieder abgibt. Die bauphysikalischen Berechnungen und Simulationen dazu stammen vom Wiener Ingenieurbüro P. Jung. Zur Belohnung wurde der Pavillon mit dem Built Design Award und dem Global Architecture & Design Award 2021 ausgezeichnet.

Zu groß, zu breit, zu weit ...

"Wir wollen nicht über Nachhaltigkeit reden, wir wollen Nachhaltigkeit vorleben und greifbar machen", sagt Erhartt. "Entsprechend basiert der Pavillon auf den unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen, und zu jedem Sinn gibt es einen eigenen künstlerischen, interaktiven Beitrag." Die beiden Highlights sind ohne jeden Zweifel die Zirbenstube (Schuhe ausziehen) und die hieroglyphenartigen, in den Lehm eingeritzten Piktogramme, die Österreich in wenigen Strichzeichnungen charakterisieren und auf ziemlich charmante Weise klarmachen: Man muss nichts neu erfinden, viele Antworten liegen in der Geschichte verborgen – in diesem Fall in einer jahrhundertealten Bautradition, mit der sich die Menschen auf der saudi-arabischen Halbinsel von jeher gut gegen die Hitze zu wehren wussten.

Allein, außerhalb Österreichs ist dieses Know-how flächendeckend perdu gegangen. Über weite Teile ist das 440 Hektar große Expo-Gelände so prototypisch danebenkonzipiert wie ganz Dubai: zu groß, zu breit, zu weit, zu sonnig, zu unmenschlich, um zu Fuß von A nach B zu kommen. Auch einige der insgesamt 192 Länderpavillons – so viele wie noch nie, sogar Zwergstaaten wie Palau, Tuvalu und die Marshallinseln sind diesmal vertreten – und der rund 70 NGOs und Konzerne verlieren sich in einer fast schon zynischen Bigotterie.

Foto: Andreas Keller

Auf der einen Seite ganz viel "Climate Care", ganz viel "Sustainability", ganz viel "Responsability", doch dann picken aberhunderte Klimageräte an den Hütten, und vor den Pavillons sprudelt das Wasser in Becken und Fontänen, als ob es in der Wüste kein Morgen mehr gäbe. Auf die Spitze treibt es der offizielle Expo-Partner Pepsico mit seiner Wassermarke Aquafina. Man hatte sich im Vorfeld der Expo auf ein Plastikflaschenverbot geeinigt, doch dafür wird nun in allen Shops und Automaten stilles Wasser in 250-ml-Aludosen verkauft. Der Slogan, allgegenwärtig: "Say yes to a more sustainable future, say yes to drinking still water from a can." Hmmm. Die Fassungslosigkeit ist eine gute Vorbereitung auf den einen oder anderen Pavillon. China pfeift auf Nachhaltigkeit und präsentiert sich als Weltraumalleinmacht, Russland stellt im zweiten Stock unter der Kuppel eine sieben Meter große Gehirnskulptur aus, deren Windungen in einer spektakulären Lichtshow von Neuroblitzen, Computerplatinen und betonierten Autobahnen dargestellt sind, und im schwedischen Souvenirshop steht auf dem Preisschild in vorbildlicher Weise, wie viel Kilo CO₂ die Herstellung des begehrten, in den Händen gehaltenen Gegenstands produzierte – währenddessen der wandlose Open-Air-Pavillon mit einer ganzen Batterie an mobilen Klimageräten hirnlos runter gechillt wird. Alles zusammen eine ökofundamentale Bankrotterklärung.

Rundherum Wüste

In den ersten Wochen seit der Eröffnung konnte die Expo 2020, die sich im Wettbewerb 2013 gegen Izmir, São Paulo und Jekaterinburg durchgesetzt hatte, nach Auskunft des Pressebüros rund 2,9 Millionen Besucher verzeichnen – davon 83 Prozent Einheimische. Bis zum Ende am 31. März werden in Summe 25 Millionen Gäste erwartet. Der große Hoffnungsträger sind die klassischen Dubai-Urlaubsmonate November bis Jänner. Angelockt werden sie mit vergleichsweise moderaten Preisen (Tageseintritt 95 Dirham, rund 22 Euro) sowie einem Gratisticket für Emirates-Passagiere.

Nach Ablauf der Expo (Investitionsvolumen 25 Milliarden Dirham, rund 5,9 Milliarden Euro) soll das Areal als "District 2020" in eine Smart City mit Wohnen und Arbeiten umgebaut werden. Die großen Themenpavillons sollen dann zu Messehallen, Start-up-Hubs und Wissenschaftsmuseen für Kinder und Jugendliche mutieren – und das alles, obwohl rundherum Wüste ist und das nächste zentralere Stadtgefüge rund zehn Kilometer entfernt liegt. Mögen die Pläne gelingen. Bis es so weit ist, kann man hinter dem letzten Pavillon dieser Weltausstellung schon den Weltuntergang sehen. (Wojciech Czaja, 13.11.2021)


Compliance-Hinweis: Die Reise nach Dubai erfolgte auf Einladung des österreichischen Expo-Büros.

Link:

Expo 2020 Dubai

Österreich

Foto: Czaja

Saudi-Arabien

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Saudi-Arabien

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Bahrain

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Deutschland

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Japan

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Ein Hilfsroboter

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"Say Yes"

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Australien

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Finnland

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Turkmenistan

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Brasilien

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Russland

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