Als Maßnahme gegen Hassrede und Belästigung und zur Herstellung eines besseren Klimas auf der Videoplattform besonders für kleinere Kanäle entfernt Youtube ein altes Feature. Unter Videos wird in Zukunft nicht mehr öffentlich angezeigt, wie viele Personen einen Clip per Klick auf "Daumen runter" abgewertet haben. Die Änderung betrifft noch nicht alle Videos und Kanäle, sondern wird schrittweise durchgeführt. Uploader sehen allerdings weiterhin, wie oft ihre Inhalte negativ bewertet wurden.

Wie jede Änderung dieser Art stößt auch diese auf Kritik. Wenig erfreutes Feedback kommt etwa von Jawed Karim. Er war einst Teil des Trios, das Youtube 2005 aus der Taufe gehoben hatte. Zudem lud er unter dem Titel "Ich im Zoo" den allerersten Clip hoch.

Das erste Youtube-Video, hochgeladen vom damals 25-jährigen Jawed Karim.
jawed

Youtube auf dem Weg zum Mittelmaß?

Diesen – genauer gesagt: dessen Beschreibung – nutzt er nun auch, um sein Unverständnis kundzutun. Schon die Ankündigung des Schritts durch Youtube-Manager Matt Koval sei ihm merkwürdig vorgekommen. Er habe noch nie eine weniger enthusiastische, zurückhaltende Vorstellung von etwas erlebt, das eigentlich toll sein sollte. Das Video habe ihn an den US-Soldaten Jeremiah Denton erinnert, der im Vietnamkrieg gefangen genommen worden war und in einem Fernsehinterview während seiner Gefangenschaft per Blinzelzeichen in Morsecode den Begriff "Folter" buchstabierte.

Karim ist überzeugt, dass kein einziger Kanalbetreiber auf Youtube erfreut sei über diese Änderung, und stellt sich die Frage, warum Youtube dennoch einen solchen "durchgängig abgelehnten" Schritt setze. Seine Vermutung: Es gehe den Betreibern gar nicht um Belästigung und ähnliche Phänomene, sondern darum, den Empfehlungsalgorithmen den Vorrang vor der Meinung der Nutzer zu geben.

Dabei sei es für eine Plattform, die auf Inhalte ihrer User angewiesen ist, verheerend, nur positive Bewertungen sehen zu können. Denn die meisten Inhalte seien nicht gut. Doch in der Flut an Content seien großartige Inhalte zu finden, die darauf warteten, entdeckt zu werden. Das sei aber nur möglich, wenn ein Abwertungsmechanismus es ermögliche, vergessenswerte Videos möglichst schnell beiseitezuräumen.

YouTube Creators

"Dieser Prozess funktioniert, und er hat einen Namen: die Weisheit der Massen", sagt Karim. "Doch er wird zerstört, wenn eine Plattform darin eingreift." Das sei auch der Punkt, an dem stets der Abstieg der Plattform beginnt. "Will Youtube ein Ort werden, wo alles mittelmäßig ist? Denn nichts kann großartig sein, wenn nichts schlecht ist."

Erstes Video als "Stachel im Fleisch"

Ob er mit seiner Prognose recht behält, bleibt natürlich abzuwarten. Es ist nicht das erste Mal, dass der Mitgründer das erste Youtube-Video für Kritik an der Entwicklung des Dienstes verwendet. 2013 rückte er etwa aus, als Google beschloss, einen Google+-Account zur Voraussetzung dafür zu machen, auf Youtube Kommentare zu verfassen, um sein neues Social Network zu pushen. Der Plan ging allerdings nicht auf. Google+ konnte zeit seines Bestehens nicht ansatzweise mit der Popularität von Facebook mithalten.

Nachdem die Plattform auch bei Google nach Abgang ihres Entwicklungsleiters Vic Gundotra intern stark an Halt verloren hatte und ohne Perspektive vor sich hindümpelte, wurde die öffentliche Version des Netzwerks nach zwei Datenlecks im April 2019 zugesperrt.

Foto: Screenshot/Youtube

Karim war nie Angestellter bei Youtube, sondern offiziell als Berater tätig. Der 1979 in Merseburg in der damaligen DDR geborene und 1991 von seinen Eltern in die USA gebrachte Mitgründer studierte an der University of Illinois und arbeitete dann bei Paypal, wo er Chad Hurley und Steve Chen kennenlernte.

Mit ihnen rief er Youtube ins Leben, doch da er sich am Betrieb kaum beteiligte und auf seine weitere Ausbildung konzentrieren wollte, blieb sein Name vergleichsweise unbekannt. Sein Anteil am Unternehmen fiel auch geringer aus. Das Aktienpaket, das er 2006 erhielt, als Google die Plattform übernahm, hatte damals aber bereits einen Wert von 64 Millionen Dollar. (gpi, 18.11.2021)