"Heute mehr denn je brauchen wir die blubbernde Transformationskraft der Fermentation", schreibt Sandor Ellix Katz in seinem Buch "Fermentation as Metaphor" (2020). In einer Zeit, in der die Prozesse zur Konservierung von Lebensmitteln oft nicht mehr nachvollziehbar sind, werde eigenhändiges Fermentieren zu einer Form des Aktivismus – man hole sich durch das milchsaure Vergären oder gezielte Schimmeln die Produktionsmittel ein Stück weit zurück.

Angesichts der aktuellen politischen und ökologischen Krisen könne das Fermentieren aber auch zur hilfreichen Denkfigur werden.

Im Ausstellungsprojekt "Fermenting Futures" beschäftigt sich das Künstlerduo Anna Dumitriu und Alex May mit historischer Verwendung verschiedener Hefen sowie mit mittels Gentechnik veränderten Hefekulturen.
Foto: Anna Dumitriu und Alex May Installation „Fermenting Futures“

Als Fermentation bezeichnet man allerlei Prozesse, in denen Bakterien oder Pilze gewisse Stoffe in Lebensmitteln umwandeln und dadurch zum Beispiel Säure oder Alkohol entstehen lassen. Verschiedenen Arten des Lactobacillus verdanken wir etwa saure Gurken, Sauerkraut oder Kimchi. Diverse Arten der Hefe bescheren uns Sauerteig, Bier, Wein und Essig. Die blubbernde Transformation taucht aber auch vermehrt in der Kunst und der künstlerischen Forschung auf.

Der US-amerikanische "Fermentierfetischist" (Selbstbezeichnung) Katz und andere – nicht nur von den Produkten, sondern auch vom Prozess – begeisterten Fermentisten betonen etwa, dass uns die Fermentation über das mehr-als-menschliche Leben unterrichtet. Schließlich wird hier ganz deutlich, dass wir auf abertausende, unserer Darmflora wohlgesinnte Mikroben angewiesen sind.

Historische Hefen

Diese Wesen werden im Ausstellungsprojekt "Fermenting Futures" von Anna Dumitriu und Alex May ins Rampenlicht gerückt. Im Zentrum ihrer Auseinandersetzung stehen die Hefebiotechnologie und die historische Verwendung bestimmter Hefen. Das britische Künstlerduo hat dazu mit der Forschungsgruppe rund um Diethard Mattanovich am Austrian Centre of Industrial Biotechnology, einem vom Klimaministerium geförderten FFG-Comet-Zentrum, und der Wiener Universität für Bodenkultur kooperiert. "Wir kommen nicht mit fixen Idee ins Labor, was wir machen wollen, sondern antworten künstlerisch auf die Forschung", sagt Dumitriu.

Wissen in anderer Form zusammentragen, als dies sonst in der Forschung üblich ist, konnte Tatjana Andrea Borodin in ihrem künstlerischen Forschungsprojekt zu Fermenten.
Foto: Tatjana Borodin

Gemeinsam mit den Forscherinnen und Forschern arbeiten sie etwa an einer mittels Gentechnik veränderten Hefekultur, die sowohl Milchsäure erzeugt, als auch CO2 aus der Atmosphäre absorbiert. Aus diesem durch die Hefe gebundenen Kohlenstoff wird wiederum ein Biokunststoff gewonnen, aus dem installative 3D-Drucke hergestellt werden, die stark vergrößerte Hefekulturen zeigen.

Damit wollen Dumitriu und May die Schönheit der Hefekolonien hervorheben. "Sie sind pink und orange, mit schwarzen Hügeln, kringelig und fluffig." In dieser Detailliertheit bekommen die Hefen sonst nur Wissenschafter zu sehen.

Diese hätten in ihrem Laboralltag auch durchaus eine ästhetische Beziehung zu der Hefe, die in der Wissenschaftsvermittlung aber meist keinen Platz finde. Hier schlägt die künstlerische Forschung eine Brücke. "Wenn man als Künstler durch ein Labor geht, wird vieles in anderer Weise sichtbar", sagt May. "Fermenting Futures" ist als Wanderausstellung unterwegs und wird im März in der Künstlerhaus in Wien zu sehen sein.

Membranen aus Zellulose

Dass man sich auf eine Zusammenarbeit mit unscheinbaren, aber wirkmächtigen Wesen einlässt und es um einen Prozess geht, den man nicht restlos kontrollieren kann, ist auch ein Aspekt, der Robert Angerer an der Fermentation interessiert. "Jede Charge ist unterschiedlich", erzählt er über seine Experimente mit Kombucha.

Der fermentierte Schwarztee wird mittels eines "Scoby" hergestellt – kurz für "symbiotic culture of bacteria and yeasts" –, einer glitschigen Masse aus Zellulose, in der Bakterien und Hefen in Symbiose leben. Diese Zellulosemasse benutzt Angerer, um Membranen für Lautsprecher herzustellen. Er studiert an der Kunstuniversität Linz und arbeitet mit Kombucha im Rahmen seines Diplomprojekts "Sound of Tea".

Robert Angerer stellte in seiner Arbeit "Sound of Tea" Membranen für Lautsprecher aus Zellulose her.
Foto: Robert Angerer

"Was mir daran gefällt, ist, dass sich die gegensätzlichen Welten von Biologie und Elektronik verbinden." Die Lautsprecher sind simpel und offen konstruiert, sodass die Betrachter auf die Materialität hingewiesen werden. "Der Scoby hat super Eigenschaften. Man bekommt eine dünne Schicht, die sehr stabil ist", sagt Angerer. Wenn mal etwas reißt oder brüchig wird, kann man sich mit Zuckerwasser behelfen, um die Membran zu kleben.

Mit und ohne Sauerstoff

Angerer begeistert sich auch für die Prinzipien des Fermentationsprozess selbst. "Bei Kombucha ist besonders interessant, dass die zwei Arten der Fermentation – mit und ohne Sauerstoff – zusammenkommen. Die Bakterien brauchen Sauerstoff, die Pilze aber nicht." Es ist faszinierend, diese Symbiose und ihre Strategien im eigenen Haushalt, in einem herkömmlichen Glasbehälter mitansehen zu können.

"The Sound of Tea" ist derzeit im Ars Electronica Center in Linz ausgestellt. Angerer hat auch Ideen zu einer Weiterentwicklung. "Ähnlich einer Zitronenbatterie würde ich gerne den fermentierten Tee als Elektrolyt verwenden, sodass sich der mittels Kombucha-Membran erzeugte Ton verändert, je saurer die Flüssigkeit wird. Das wäre dann wirklich das Geräusch des Tees."

Auch Tatjana Andrea Borodin arbeitete in ihrer Abschlussarbeit mit Fermenten. Sie schloss soeben das Studium der Transmedialen Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien mit der Arbeit "Ferment-Fiktionen der O-3-Fettsäuren" ab. Das künstlerisch-wissenschaftliche Projekt bestand aus einem Essay und Fermenten, die jedem Kapitel zugeordnet wurden, sowie einem "Lecture Dinner", bei dem sowohl Text als auch vergorene Lebensmittel gereicht wurden.

In Bewegung bleiben

"Ich habe großes Interesse an Lebensmitteln und Ernährung", sagt Borodin, die an der Uni Wien außerdem den Master Science-Technology-Society studiert. Daher sei die omnipräsente Omega-3-Säure, der man allerhand Fähigkeiten nachsagt – dieser "begehrte Star von humanistischen Verbesserungsideologien", wie es in ihrem Text heißt –, die Protagonistin ihrer Arbeit. Mit dem künstlerisch-forschenden Abschluss habe sie sich die Freiheit nehmen können, Wissen in anderer Form zusammenzutragen.

Die Fermentation übersetzte sie dazu in eine Denk- und Schreibmethode: "Sie ist eine Methode des Haltbarmachens, die aber dynamisch bleibt", sagt Borodin. Es wird etwas haltbar und greifbar gemacht, aber ohne es in fertige Kategorien zu stecken. Ein Denken, dass sich am Ferment inspiriert, ist ein Denken, das in Bewegung bleibt.

Links ist ein weiteres Exponat des Projekts "Fermenting Futures" von Dumitriu und May zu sehen.
Foto: Anna Dumitriu und Alex May

"Es heißt auch, zu akzeptieren, dass Wissen nie fertig ist. Wenn man mit Pilzen und Bakterien kooperiert, arbeitet man notwendigerweise prozessorientiert und situiert", sagt Borodin. Man werde sich der direktesten Umwelt – etwa Temperatur, Substrat, Partikel in der Luft – bewusst.

Die künstlerische Fermentforschung verkompliziert also eine rein auf den Menschen fokussierte und zielgerichtete, unbeirrbare Perspektive. Wenn man bei Fermentisten wie etwa Sandor Katz trotzdem auf die neoliberal anmutende Formulierung "Investition in die Zukunft" stößt, so ist auch damit ein Einlassen auf mehr-als-menschliche Rhythmen und Wirkweisen gemeint, die jede und jeder ganz einfach erfahren kann: Man schlichtet Obst oder Gemüse in ein Glas mit Salzwasser und wartet. Wenn alles gut läuft, beginnt das Ganze bald zu blubbern, wird köstlich und gesund. (Julia Grillmayr, 27.12.2021)