Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaál (SPÖ, Zweite von rechts), Gemeinderätin Dolores Bakos (Neos, Dritte von rechts) und 24-Stunden-Frauennotruf-Leiterin Heidemarie Kargl (Zweite von links) gaben gemeinsam mit Bezirksinspektorin Sandra und Kontrollinspektorin Barbara vom Stadtpolizeikommando Josefstadt den Startschuss für die Stadt-Wien-Kampagne "Halt! Zu mir!" im Arkadenhof des Wiener Rathauses.

Foto: PID/Votava

Ein Mann, der eine Frau in der U-Bahn belästigt. Eine Nachbarin mit einem blauen Auge. Ein Mann, der einer Frau im Park auf den Oberschenkel greift. Die Stadt Wien startet mit "Halt! Zu mir!" eine Kampagne, die auf das Verhalten anderer Personen in genau diesen Situationen aufmerksam macht – es geht um Zivilcourage.

Signal für Betroffene

"Gewalt gegen Frauen hat in unserer Stadt keinen Platz. Zivilcourage heißt: Wir schauen nicht weg. In Wien schauen wir alle gemeinsam hin und holen Hilfe, wenn jemand Unterstützung braucht", sagt Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaál zum Start der Kampagne, der nicht zufällig am Mittwoch stattfindet.

Denn einen Tag später, am Donnerstag, wird der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen, außerdem wird während der "16 Tage gegen Gewalt an Frauen" auf das Thema aufmerksam gemacht. Nicht nur in Wien werden deswegen neue Initiativen präsentiert. Auch das Sozialministerium geht in die Offensive und legt das Augenmerk bei "Mann spricht's an" auf die Verhinderung von Männergewalt.

In Wien gehe es bei der Kampagne darum zu zeigen, dass jeder und jede etwas tun kann. Allerdings stehe die Sicherheit immer im Zentrum. "Bei Gefahr heißt das: Die Polizei rufen. Und die Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs sind rund um die Uhr für Betroffene da – genauso wie für alle Wienerinnen und Wiener, die handeln und helfen wollen", sagt die Frauenstadträtin. Das sei vor allem deswegen wichtig, um den betroffenen Frauen zu signalisieren, dass sie nicht allein sind. "Gewalt gegen Mitmenschen und insbesondere gegen Frauen können wir nur gemeinsam begegnen – auf Augenhöhe und mit der Courage, hinzuschauen und ‚Halt!‘ zu sagen", fügt Dolores Bakos, Frauensprecherin des Koalitionspartners Neos, hinzu.

Installation im Arkadenhof

Teil der Kampagne ist eine Installation im Arkadenhof des Wiener Rathauses. Wer vorbeigeht, hört vertonte Erzählungen, "Botschaften" von Wienerinnen und Wienern, die Szenen von Beleidigungen, Belästigungen oder Gewalt gegen Frauen beobachtet haben – und die hingeschaut und gehandelt haben. An den vier Seiten des Würfels sind die Sujets der Kampagne und die Nummern des 24-Stunden-Frauennotrufs (01/717 19) und der Polizei (133) angebracht. Mitte Dezember soll die Installation dann auf den Platz der Menschenrechte auf der Mariahilfer Straße übersiedeln.

Ein weiterer Teil der Kampagne sind Videos, die nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch im Fernsehen und auf den Info-Screens laufen sollen, außerdem gibt es auch einen Radiospot. Auch hier liegt der Fokus auf Situationen, in denen andere Personen eingeschritten sind.

Wie man Zivilcourage trainiert

Auch konkrete Tipps für schwierige Situationen werden gegeben – etwa von Expertinnen des 24-Stunden-Frauennotrufs. Sie raten dazu, sich auf das Opfer zu konzentrieren und diesem Hilfe anzubieten. Um nicht zur weiteren Eskalation einer Situation beizutragen, kann etwa eine Bekanntschaft mit dem Opfer vorgegeben oder das Opfer um eine Wegbeschreibung gefragt werden. Der Täter sollte nicht direkt angesprochen, nicht geduzt und vor allem nicht angegriffen werden, raten die Expertinnen. Und auch sie betonen: Wenn die Situation als gefährlich eingeschätzt wird, solle umgehend die Polizei gerufen werden.

"Wir alle können Zivilcourage trainieren wie einen Muskel. Hinschauen, hinhören und eine gute Vorbereitung stehen dabei am Anfang", sagt die Leiterin des 24-Stunden-Frauennotrufs Heidemarie Kargl. Zivilcourage müsse also keine große Tat sein, sondern bestehe aus vielen "kleinen Gesten des Aufeinanderschauens". Einzuschreiten sei aber nicht einfach, Gefühle der Angst seien verständlich, weswegen konkrete Tipps und eine Sensibilisieren für das Thema wichtig seien.

Workshops zum Thema

Auch beim Frauenservice Wien soll Zivilcourage des zentrale Thema 2022 werden, dazu soll es verschiedene Workshops geben. Eine andere Kampagne – "Ich bin dein Rettungsanker" – wird ausgebaut: Ab 2022 wird es kostenlose "Rettungsanker goes Zivilcourage"-Workshops beim Frauenservice zu buchen geben, heißt es in der Aussendung. Dieses Angebot bestehe für alle 23 Bezirke. Die Rettungsanker-Initiative wurde erstmals beim Donauinselfest gestartet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden hier für die Themen sexuelle Belästigung und Übergriffe sensibilisiert, für Betroffene waren sie über den Rettungsanker erkennbar. Später beteiligten sich auch die Wiener Linien und etwa der Nachtclub Volksgarten an der Initiative.

Zahlen zu Anzeigen ...

Anlässlich des Tags gegen Gewalt an Frauen veröffentlichte die Stadt auch aktuelle Zahlen zum Thema – einerseits zu den Anzeigen: Insgesamt kam es in Wien 2020 zu 6.409 angezeigten Delikten im Bereich von Gewalt in der Privatsphäre. Die direkte physische Gewalt stellt mit 3.466 angezeigten Körperverletzungsdelikten die häufigste Form der Gewalt dar. Aber auch gefährliche Drohungen (1.200 Anzeigen) sowie die fortgesetzte Gewaltausübung (544 Anzeigen) kommen häufig vor.

Andererseits wurden auch Zahlen zu Beratungseinrichtungen veröffentlicht. 2020 hat der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt 12.806 Beratungen durchgeführt. 70 Prozent davon erfolgten telefonisch. Die E-Mail-Beratungen machten 24 Prozent aus und sind damit um 60 Prozent gegenüber 2019 angestiegen. Persönliche Beratungen und Begleitungen zu Polizei, Gericht oder Krankenhaus machten sechs Prozent aus. In diesem Bereich war aufgrund der Corona-Pandemie ein starker Rückgang zu bemerken, heißt es vonseiten der Stadt.

... Beratungen und Zufluchtsorten

Bei den Beratungsthemen ging es 2020 bei 41 Prozent um sexualisierte Gewalt. Beratungen wegen körperlicher Gewalt machten 30 Prozent aus und Beratungen wegen psychischer Gewalt 27 Prozent. Zwei Prozent entfielen auf K.-o.-Mittel, weibliche Genitalverstümmelung (FGM) und Zwangsheirat.

In den vier Frauenhäusern mit 175 Plätzen fanden 2020 insgesamt 604 Frauen und 575 Kinder Zuflucht. Bis 2022 will die Stadt ein fünftes Frauenhaus mit 50 zusätzlichen Plätzen bauen. Außerdem soll ein bestehendes Frauenhaus in ein neues Frauenhaus für Mädchen und junge Frauen umgewandelt werden. Junge Frauen in der Altersgruppe von 16 bis 22 Jahren hätten andere Bedürfnisse und würden daher eine andere Form von Unterstützung brauchen, heißt es dazu.

Mehr Tötungsdelikte

Polizistinnen und Polizisten sprachen im letzten Jahr 3.398 Betretungs- und Annäherungsverbote in Wien aus. Im Sommer wurde der interne Supportdienst (Gis-Support) eingeführt: Der 24-Stunden-Supportdienst ist mit geschulten Präventionsbeamten und -beamtinnen besetzt, die die vor Ort intervenierenden Polizistinnen und Polizisten telefonisch mit ihrer Expertise und einem wissenschaftlichen Analysetool unterstützen, um die für den Einzelfall besten Opferschutzmaßnahmen zu treffen.

Dennoch enden manche Konflikte leider tödlich: 2020 kam es in Wien zu sechs Morden an Frauen – die Zahl stammt aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2020. In diesem Jahr wurden bislang neun Frauen Opfer eines Tötungsdeliktes.

Die Stadtregierung wird hingegen nicht müde zu betonen, dass man sich dem Problem stellt – und investiert. Insgesamt würden allein 2022 rund elf Millionen Euro aus dem Wiener Budget in Gewaltschutz und -prävention sowie in den Ausbau der Kinder- und Jugendarbeit fließen. (Lara Hagen, 24.11.2021)