Bereits in den 1980er-Jahren hat der Historiker und ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser vieles geleistet, um dunkle Ecken in der Geschichte Vorarlbergs auszuleuchten. Gemeinsam mit etlichen Historikerkollegen begann er sich im Rahmen der 1982 gegründeten Johann-August-Malin-Gesellschaft Themen wie Antisemitismus, Austrofaschismus und Nationalsozialismus zuzuwenden, die in der Nachkriegszeit im "Ländle" ebenso gern verdrängt wurden wie anderswo. Im Zuge seiner Arbeit stieß Walser auf die Geschichte der 1957 verstorbenen Krankenschwester Maria Stromberger, die ihn über Jahrzehnte hinweg nicht mehr losließ und der er jetzt eine packende Biografie gewidmet hat.

Harald Walser, "Ein Engel in der Hölle von Auschwitz. Das Leben der Krankenschwester Maria Stromberger". € 24,90 / 260 S. Falter-Verlag, 2021
Foto: Falter Verlag

Stromberger, 1898 in bescheidener ländlicher Mittelschicht in Kärnten geboren, verdingte sich zunächst als Küchenhilfe und Köchin, war aber auch als Pflegerin für ihre Eltern tätig. Erst 1937, im Alter von 39 Jahren, konnte sie sich ihren eigentlichen Berufswunsch erfüllen – den, Krankenschwester zu werden. Als solche war sie in Bregenz, Heilbronn und dann Lienz tätig, wo sie im "Reichsgau Kärnten" eine "strenge Zeit" durchlebte. Es sollten aber, so ihr Biograf Walser, "noch weit strengere Jahre folgen".

Denn die streng katholische, stets auf das Wohl ihrer Mitmenschen bedachte Helfernatur Stromberger ließ sich 1942 nach Auschwitz versetzen. Sie hatte "Verschiedenes darüber gehört, was im Osten geschah", und wollte sich davon überzeugen, "ob die Erzählungen der Wahrheit entsprachen, denn als alte Österreicherin konnte ich das nicht glauben, wir waren immer tolerant und human". Wie "tolerant" und "human" es in Auschwitz herging, sollte Stromberger schneller erkennen, als ihr lieb war. Nicht allzu lange nach ihrer Ankunft wurde sie Zeugin, als eine Schar SS-Leute einen Säugling in einen Sack steckte und totprügelte. Stromberger gelang es nicht nur, ihren klaren Verstand zu bewahren. Sie schlug sich auch umgehend auf die Seite der Opfer, denen sie, unter ständiger Lebensgefahr, von kranken SS-Leuten abgezweigte Lebensmittel zukommen ließ. Nach und nach entwickelte sie sich, etwa im Zusammenspiel mit Hermann Langbein, zu einer zentralen Figur des Widerstands im Lager, dem sie kraft ihrer Position mit klandestinen Botendiensten unschätzbare Dienste leisten konnte. Walser schildert nicht nur Strombergers Geschichte, die nach dem Krieg auf beschämende öffentliche Ignoranz stieß, detailgenau und aus neuem Archivmaterial schöpfend, sondern entwirft auch ein plastisches Bild der Täter und Opfer in Auschwitz. "Verfassungen und politische Systeme sind von allergrößter Wichtigkeit", schreibt Altbundespräsident Heinz Fischer in seinem Vorwort, "aber die letzte Entscheidung über das Schicksal von Menschen und Staaten liegt in der Hand von Menschen". Das ist gewiss eine der wichtigsten Lehren aus Walsers verdienstvollem und lesenswertem Buch. Ein Engel in der Hölle von Auschwitz ist eine bedrückende Lektüre, die gleichwohl in ermutigender Weise zeigt, dass selbst unter den widrigsten Bedingungen die Freiheit zu Anstand und Widerstand gegen die Barbarei bestehen bleibt. (Christoph Winder, 6.12.2021)