Dinieren kann man im Esszimmer gar nicht mehr, höchstens noch futtern, und selbst das nur mehr am Tischrand. Außer man macht sich die Mühe und räumt zuerst alles fein säuberlich weg. Die Platte mit dem Filz, die Boxen mit den nach Farben geordneten Teilen, die große Schachtel mit der Vorlage sowie die Untersetzer, die den fixen Platz für die Tasse Tee oder manchmal auch das Glas Wein markieren. Es ist Winter und das Esszimmer wurde wieder zum Puzzleraum. Sogar die Katzen wissen, dass auf einmal auf diesem Gebiet Regeln gelten wie sonst nirgendwo im Haus. Obwohl, sie scheinen die entspannte Stimmung beim Puzzeln eh zu mögen, um dort ein Schläfchen zu machen. Als würde der ganze Ärger komplett an ihnen vorbeigehen.

Puzzeln ist ein Spaß für die ganze Familie. Glauben manche. Andere lasserten sich eher scheiden, als gemeinsam ein Puzzle zu machen.
Foto: Ravensburger

Der Ärger, wenn du merkst, dass du wieder ungenau warst, als du 1.000, 2.000, oder gar 5.000 Puzzleteile nach Randstücken durchsucht hast, nun eines fehlt und du wieder alle Teile durchgehen musst. Wenn du schon seit einer gefühlten Ewigkeit über dem Werk sitzt und kein passendes Teil gefunden hast. Und dann kommt deine Frau, schaut dir eine Sekunde über die Schulter und baut drei Teile ein. Manche Familien puzzeln gemeinsam. Wir lassen uns eher scheiden. Und dann immer wieder der Moment, in dem man sich fragt: "Warum tu ich mir das selber an?"

Freud und Leid

Denn ja, die Arbeit an sich ist sinnlos, erst recht, wenn man nicht im Traum daran denkt, das fertige Bild von schaukelnden Booten vor knallbunten Hausfassaden oder dämlich grinsende Katzenbabys, die man bei der Fertigstellung schon nicht mehr sehen kann, einzurahmen und aufzuhängen. Nein, wenn ein Puzzle fertig ist, wird es in der Sekunde wieder auseinandergenommen, wieder in die Schachtel gesteckt und der Nachbarin gebracht. Die hat aber gar keinen Esszimmertisch. Aber einen Puzzletisch. Auch sie ärgert sich oft beim Puzzeln. Und doch wissen wir, warum wir uns das antun.

Ob man in den Flow kommt, wenn so viele Pratzen puzzeln?
Foto: Ravensburger

Puzzeln ist eine Tätigkeit, die einen so weit fordert, dass sie einen fesselt, ist aber nicht so anstrengend, dass sie einen ermüdet. Wer oft, viel und vor allem wer leidenschaftlich puzzelt, kann von Flowzuständen berichten. Man geht in dieser Arbeit so auf, dass die Alltagssorgen komplett egal sind, Stress mit dem Chef wie weggezaubert scheint und man komplett das Zeitgefühl verliert. "Es wurde gestern wieder später", sagte erst unlängst eine Kollegin, nachdem ich sie auf die müden Augen ansprach. Sie geht abends nicht exzessiv fort. Aber sie puzzelt.

Die 1.000er

"Stück für Stück kleine Erfolgserlebnisse" sei so ein Puzzlespiel, sagt Tanja Philippeit vom Starnberger Spiele-Verlag. Mehr noch: "Wer regelmäßig in dieser Kategorie mit um die 1.000 Teile puzzelt, trainiert das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit." Und um die ganze Sache ein Haucherl verrucht erscheinen zu lassen, geht sie gar so weit, zuzugeben, dass Puzzeln ein bisschen süchtig machen kann. Denn ja, auch wenn sie von einer Renaissance des Puzzelns spricht, ist es doch kein Hobby, mit dem man in sozialen Netzwerken oder am Stammtisch angibt. Es hat schon was Staubiges.

Der erhebende Moment, wenn du das letzte Teil einsetzt. Und danach geht alles wieder von vorne los.
Foto: Ravensburger

"Kinder und ältere Erwachsene sind sicherlich eine Kerngruppe unter den Puzzlern", sagt Doris Kornitzer, Pressesprecherin von Ravensburger in Österreich. "Tendenziell puzzeln auch mehr Frauen als Männer, aber die Liebhaber werden immer mehr." Puzzeln habe schon vor Corona bei Erwachsenen einen neuen Trend erlebt. "Puzzeln ist das neue Yoga", sagt Kornitzer. "Immer mehr Menschen, auch immer mehr jüngere Menschen nutzen es zum Entspannen und Abschalten." Genau für diese Zielgruppe habe man auch eine eigene Serie, "Puzzle-Moment" entwickelt, die mit wenigen Teilen, aber schönen Motiven locke.

Ruhe und Achtsamkeit

Ravensburger Österreich hat im Jahr 2020 um 50 Prozent mehr Puzzles verkauft als im Jahr davor, davon entfiel der größte Teil mit fast 73 Prozent auf Puzzles für Erwachsene. Dieses hohe Niveau wurde 2021 beibehalten. "Beflügelt wurde der Trend durch die Covid-Situation und die Lockdowns, in denen die Menschen plötzlich viel mehr Zeit zu Hause verbracht haben – viele davon auch alleine – und nach abwechslungsreichen Beschäftigungen gesucht haben", ist Doris Kornitzer überzeugt. "Auch die Nachteile der voranschreitenden Digitalisierung machen sich bemerkbar, denn permanente Erreichbarkeit auf sämtlichen digitalen Kanälen erschöpft den Geist", ist Tanja Philippeit überzeugt und meint, "dass Puzzeln gerade so beliebt ist, weil es ganz spielerisch viele moderne Bedürfnisse nach mehr Ruhe und Achtsamkeit befriedigt."

Passt irgendwie zu Piatnik: ein ausgefuchstes Puzzle aus Weinstoppeln.
Foto: Piatnik

Bei Piatnik spricht man gar davon, dass sich in der Pandemie der Markt für Erwachsenenpuzzles verdoppelt habe. "Eine Zeit hindurch waren alle Lager leergekauft", erinnert sich Dieter Strehl, Geschäftsführer bei Piatnik.

Ja, Piatnik ist ganz stark in einem anderen Segment, bietet aber auch Puzzles an. Strehl definiert das recht witzig so: "Wir sind im Spielkarten- und Spielebereich viel stärker. Unser Marktanteil bei den Puzzles in Europa entspricht etwa dem Marktanteil des STANDARD." So lässt sich vielleicht auch erklären, warum Strehl mit eigenen Zahlenmaterial zum Puzzlemarkt in Österreich nicht um sich schmeißen kann. Aber er weiß, dass sich "Puzzles mit 1.000 Teilen am besten verkaufen" – und das deckt sich mit der Erfahrung von Tanja Philippeit und der von Doris Kornitzer.

Die Top drei

Die Ravensburger-Sprecherin geht sogar einen Schritt weiter und bezeichnet das Puzzle mit 1.000 Teilen als den Klassiker schlechthin. "Hier gibt es auch die größte Auswahl bei den Motiven. Wir haben aber festgestellt, dass vor allem seit Corona auch Motive mit höherer Teilezahl stärker nachgefragt werden – bis hin zu unserem größten Puzzle mit 40.320 Teilen." In Österreich seien bei Erwachsenen vor allem Landschaften und Sehenswürdigkeiten gefragt: "Das beliebteste Puzzlemotiv 2020 in der Kategorie 2D-Puzzle für Erwachsene war 'London bei Nacht', knapp gefolgt von der 'Großglockner Hochalpenstraße' und dem 'Schloss Schönbrunn' aus der Österreich-Puzzle-Serie." Klingt recht unaufgeregt. Doch die Hersteller versuchen das Puzzle auch immer wieder neu zu erfinden.

"Es gab im Laufe der Zeit viele Trends", sagt der Piatnik-Chef, "Puzzles aus Kork, Puzzles mit textilen Elementen, 3D-Puzzles aus Plastik oder aus Schaumstoff, Holzpuzzles, Kugelpuzzles, Kontourpuzzles. Allen diesen Trends ist gemeinsam, dass sie sich nur wenige Jahre im Angebot halten konnten und bald abgelöst wurden oder zu einer kleinen Angebotsnische wurden. Das klassische, nachhaltige Kartonpuzzle in einer Schachtel, mit dem Vorlagebild am Cover hat sich jedoch gehalten. Es wird häufig wieder zerlegt und später nochmals zusammengesetzt. Wir haben einige dieser Moden mitgemacht, aber nicht in der letzten Zeit."

Ziemlich ausgefuchst, das Knopfpuzzle.
Foto: Ravensburger

Der letzte Schrei sind gerade Exit-Puzzles. Sie versuchen eine Kombination aus Exit-Room und Puzzle zu sein, oder sagen wir: zwischen Abenteuer, Rätsel und Ausdauer. Das Problem dabei ist, dass die Erklärung zu den Exit-Puzzles so holprig ist, dass man erst eines machen muss, um es überhaupt verstehen zu können. Denn das Bild, das man zusammenbaut, hat nur bedingt mit dem Bild auf dem Karton zu tun. Dafür bekommt man vorab eine Geschichte geliefert, die erklärt, was zwischen dem Verpackungsfoto und dem Bild, das man zusammenpuzzlen muss, passiert ist.

Und dann, wenn alles fertig zusammengebaut ist, geht es darum, die gefährliche Situation am Bild dadurch zu lösen, dass man einige Randteile wieder herausnimmt, neu zusammensetzt und auf das Puzzle legt. Kennt sich keiner aus, gell. Aber wenn man das rauchende Giftfass auf dem Puzzle als Problem erkannt hat, ist es nicht mehr so weit, bis man draufkommt, dass man die Randsteine sucht, auf denen Bildteile sind, die auch einen Deckel ergeben könnten. Superkompliziert, aber doch spannend. Oder anders gesagt: Man muss man dabei gewesen sein, um es witzig zu finden.

Einfärbige Puzzles

"Die Exit-Puzzles, bei denen zuerst gepuzzelt und dann ein Rätsel gelöst wird, sind derzeit sehr beliebt", bestätigt Doris Kornitzer und kommt natürlich nicht drumherum, zu erwähnen, dass "es bei Ravensburger auch eine eigene Reihe für Kinder und auch einige Adventkalender gibt". Gefragt seien aber auch besonders anspruchsvolle Motive. In der Challenge-Reihe gibt es da etwa das Puzzle mit den vielen kleinen Knöpfen, die übereinanderliegen. Wer da noch nicht wahnsinnig wird, kann ja noch zu einem der Puzzles greifen, die gleich gar kein Motiv haben und einfärbig sind.

Exit-Puzzles gibt es auch schon für Kinder.
Foto: Ravensburger

Und wenn Sie jetzt, werter Herr Leser, grad ein wenig despektierlich schauen, von wegen Puzzle, und sich gleichzeitig heimlich auf Ihr Lego-Technik-Packerl zu Weihnachten freuen – so groß ist der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Puzzle nicht. Das Thema Nachhaltigkeit lassen wir da jetzt absichtlich aus. Und den Esszimmertisch okkupieren auch beide gleichermaßen. Also. Und wenn Sie sich nicht beruhigen können, machen S’ halt ein Puzzle. Das hilft. (Guido Gluschitsch, 20.12.2021)