1944 von der Gestapo beschlagnahmt, jetzt versteigert: Emanuel de Wittes Kircheninterieur, nach dem die Bundespolizeidirektion Wien bereits 1954 fahndete.

Foto: Christie's

Knapp vier Minuten, mehr musste Jussi Pylkkänen (Christie’s Global President) in seiner Funktion als Auktionator am Dienstagabend in London nicht investieren, um drei ehemals in Wiener Privatbesitz beheimatete Gemälde zu versteigern. Das Interesse der Bieter war überschaubar geblieben.

Das Bildnis Kaiser Ferdinands I., gemalt vom "Meister von Frankfurt", wechselte etwas über den angesetzten Taxen (47.000–70.000 Euro) für rund 110.000 Euro (inkl. Aufgeld) den Besitzer, während Emanuel de Wittes Kircheninterieur (590.000–930.000 Euro) mit brutto 586.500 Euro unter den Erwartungen blieb. Den höchsten Zuschlag der Gruppe erteilte man erwartungsgemäß für El Grecos Bildnis eines Herrn, bei 1,43 Millionen Euro (930.000 bis 1,4 Mio. Euro).

Beschlagnahme ab 1938

Der Industrielle Julius Priester flüchtete gemeinsam mit seiner Ehefrau Camilla vor der Verfolgung des NS-Regimes.
Foto: Courtesy CLAE

Die Herkunft der Bilder und ihre wechselvolle Geschichte spielten für Kaufinteressenten, wenn überhaupt, eher eine untergeordnete Rolle: Sie waren, wie berichtet (Alte Meister im Salon, 13. 11.), vor dem "Anschluss" im März 1938 in der Sammlung des Industriellen Julius Priester und seiner Ehefrau Camilla beheimatet, bis sie auf Anordnung der NS-Behörden in mehreren Tranchen beschlagnahmt worden waren.

Das jüdische Ehepaar war zu diesem Zeitpunkt längst geflüchtet: zuerst nach Paris, im Juni 1940 über Bordeaux weiter nach Portugal, und im August des gleichen Jahres überquerten sie, zusammen mit tausenden anderen Flüchtlingen, den Atlantik an Bord der SS Quanza nach Mexiko. Dort verbrachten sie den Rest ihres Lebens, weder Julius (1870–1955) noch Camilla (1885–1965) kehrten je wieder nach Österreich zurück.

Fotodokumentation

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges betrieb das Ehepaar die Suche nach den entzogenen Werken aus der Ferne und nur mit bedingtem Erfolg. Vieles war, über unbekannte Wege, in Privatbesitz verschwunden. Dabei hatten die Priesters, anders als die Mehrheit Betroffener, sogar Fotoaufnahmen, die eine Identifikation der gesuchten Werke ermöglichten: sowohl Innenaufnahmen ihrer Wohnung, auf denen viele der Bilder erkennbar waren, als auch Einzelaufnahmen von Gemälden.

Nach diesem Gemälde von David III Ryckaert ("Fastnachttreiben", "Charivari"), das im Juli bei "im Kinsky" im Rahmen eines Restitutionsvergleichs versteigert wurde, fahndete die Polizei bereits 1954. Eine Suchmeldung in einschlägigen Datenbanken gab es nicht, obwohl sich sogar eine historische Schwarz-Weiß-Aufnahme erhalten hat.
Foto: Im Kinsky

Sie befinden sich bis heute im Aktenbestand im Archiv des Bundesdenkmalamtes, wurden jedoch bisher nur teils publiziert. Etwa im Mai 1954, als die Bundespolizeidirektion Wien eine illustrierte Liste von 17 Gemälden aus der Sammlung Priester veröffentlichte. Wie es zu der spezifischen Auswahl kam, die nur einen Teil der gesuchten Werke zeigte, ist nicht mehr rekonstruierbar.

Weder das eingangs erwähnte Bildnis Kaiser Ferdinands I. vom "Meister aus Frankfurt" noch das Herrenporträt von El Greco schienen auf dieser Liste auf. Dafür das Kircheninterieur von de Witte oder auch ein Fastnachtstreiben betiteltes Bild von David Ruyckaert. Letzteres stand im Dezember 2020 unter der Bezeichnung "Charivari" beim Auktionshaus "im Kinsky" im Angebot, wurde jedoch kurz vor der Versteigerung zurückgezogen.

Vergleich in Wien

Dem Einbringer zufolge hätte sich das Bild, laut Katalogangaben, "seit ca. 100 Jahren in Familienbesitz" befunden. Der Check einschlägiger Verzeichnisse, in denen Meldungen zu in der NS-Zeit gestohlenen Kulturgütern erfasst werden, war seitens "im Kinsky" ergebnislos verlaufen: Weder beim kostenpflichtigen Art-Loss-Register noch bei der öffentlich einsehbaren Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste (DZK) war dieses Bild erfasst. Das Auktionshaus wähnte sich also in Sicherheit. Ein Irrtum.

Eine der Innenaufnahmen aus der Wohnung des Ehepaars Priester in der Ebendorferstraße, die als eine der wenigen 2003 von Sophie Lillie ("Was einmal war", Czernin Vlg.) publiziert wurde: Werke von Peter Paul Rubens (li. außen), Frans Hals (Mitte) oder Van Dyck (re. über dem Kamin) sind identifizierbar.
Foto: BDA-Archiv

Die Commission for Looted Art Europe (CLAE), die 2006 von den Erben nach Julius und Camilla Priester mit Nachforschungen beauftragt wurde, informierte die Geschäftsführung namens ihrer Klienten. Einen Restitutionsvergleich später wurde das Bild nun im Juli versteigert und der Erlös (Hammerpreis 40.000 Euro), 50:50 zwischen dem Einbringer und den Priester-Erben aufgeteilt, wie "im Kinsky" mitteilt.

Laut Anne Webber, Gründerin und Co-Vorsitzende von CLAE, gelten bis heute mehr als 20 Werke aus der Sammlung Priester als verschollen. Warum diese Gemälde nicht bei den Datenbanken gemeldet wurden, die vom Kunsthandel zur Überprüfung der Herkunft der Ware genutzt werden und damit die Auffindung verschwundener Werke erleichtern sollten?

Keine Suchmeldung

Im Juli 1953 fanden sich mehr oder weniger zufällig zwei Herrenbildnisse von Van Dyck in Privatbesitz, wie "Das Kleine Volksblatt" damals berichtete.
Foto: BDA-Archiv

Die Antwort fällt ausweichend aus: Das sei ein komplexes Thema und für die drei nun bei Christie’s versteigerten Werke nicht relevant. Diese seien "alle durch unsere Nachforschungen und nicht durch Online-Veröffentlichungen wiedergefunden" worden. Das stimmt nur bedingt. Tatsächlich war dieses Trio im Laufe der Jahre über den Handel aufgetaucht: Der El Greco war im Juni 2014 über Kommission eines Londoner Kunsthändlers in New York zum Verkauf angeboten worden. Das Ferdinand-I.-Bildnis hätte wiederum 2006 von Christie’s bei einer Auktion in London versteigert werden sollen.

Und das Kircheninterieur von Emanuel de Witte? STANDARD-Recherchen zufolge hatte es ein österreichischer Privatsammler ursprünglich dem Dorotheum übergeben, wo die historische Herkunft in der hauseigenen Provenienzabteilung nicht unentdeckt geblieben war. "Nach einer Einigung zwischen dem Einbringer und den rechtmäßigen Erben" sei das Bild an Letztere ausgefolgt worden, erläutert das Dorotheum auf Anfrage.

Datenbankeinträge gelöscht

Durchaus interessant ist der Umstand, dass einige der verschollenen Werke aus der Sammlung Priester ehedem sehr wohl in der Lost-Art-Datenbank gelistet waren, etwa jene, nach denen die Wiener Behörden schon 1954 fahndeten: konkret von 2001 bis 2011. Wie eine Anfrage beim DZK ergab, war 2011 eine "Depublikation" erfolgt. Und zwar infolge eines US-amerikanischen Gerichtsurteils von 2005. Demnach sei der ursprüngliche Lost-Art-Melder "nicht berechtigt gewesen, in Angelegenheiten des Nachlasses Priester tätig zu werden".

Seither erfolgte keine neuerliche Meldung namens der Erben nach Julius und Camilla Priester. Ob dahinter geschäftliche Interessen der CLAE stecken, muss eine Mutmaßung bleiben. Wie sich diese – offiziell gemeinnützig agierende – Organisation finanziert, war auf aktuelle Anfrage nicht in Erfahrung zu bringen. (Olga Kronsteiner, 12.12.2021)