Auf dem Weg zu einem soliden Bildungsabschluss in Boston: Spider-Man (Tom Holland, li., im Bild mit Benedict Cumberbatch) visiert neue Lebensziele an.
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Superhelden tun sich meist schwer mit dem Daheimsein. Sie leben ja von ihrem entscheidenden Unterschied, da bleibt oft nicht viel mehr als ein Zuhause im Kampfanzug. Unter normalen Menschen aber sind sie Fremde. Viele müssen sich "im richtigen Leben" sogar verstecken. Peter Parker (Tom Holland) war da zuletzt schon ein ganzes Stück weiter.

Er hatte eine Freundin namens MJ (Zendaya) und einen Spezl namens Ned (Jacob Batalon). Zu dritt waren sie eigentlich schon fast ein Team, und dann gibt es auch noch die Avengers. Da gehört Peter Parker alias Spider-Man ja auch dazu. Gruppengefühl sorgt für Beheimatung, auch wenn sich neulich in dem Film Avengers: Endgame der große Zusammenhalt der Marvel-Superhelden bei einer Bestattung erweisen musste.

Einmal hat das Marvel Cinematic Universe jetzt schon einen Zyklus durchlaufen. Danach kann es natürlich nicht einfach wieder von vorn anfangen, aber irgendetwas anfangen muss es ja doch. Die vielen Figuren und der ganze Schurkenfundus dürfen nicht verstauben. Wir befinden uns nun in der Phase vier der entsprechenden Kosmologie. Black Widow, Shang-Chi und die Eternals sorgten seit Neustart nach dem großen Showdown bisher für eine Mischung aus Frauenpower, Diversität und Spiritualität.

Superheld mit Studiumswunsch

Mit Spider-Man: No Way Home von Jon Watts geht es nun eher in geläufigen Bahnen weiter. Schon der Vorgänger Far from Home spielte mit dem Heimatgedanken, der jetzt endgültig suspendiert wird: Es gibt keinen Weg nach Hause. Das hat damit zu tun, dass das Geheimnis von Peter Parker keines mehr ist. Alle Welt weiß um seine Doppelexistenz. Er ist jetzt "die berühmteste Person auf dem Planeten", dabei möchte er doch einfach ganz normal auf ein College, so wie MJ und Ned auch.

Der Brief, den viele junge Leute in Amerika alljährlich bang erwarten, gibt schon das Motiv vor für das, was folgen wird: Ob jemand ans Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston studieren gehen kann oder nicht, das ist eine Lebensweiche. Oder ein Schicksalsmoment. Das gilt auch dann, wenn das College eigentlich der zweite Bildungsweg ist. Denn auch als Spider-Man hat Peter Parker einiges zu lernen. Und Ned entwickelt an seiner Seite Fähigkeiten, mit denen er zwar nicht das Empire State Building hochkraxeln wird, aber wichtige Türen öffnen kann.

Moderne Mythologie

Die erzählerische Herausforderung für das Marvel Cinematic Universe lag immer schon darin, dass es 2008 mit dem Film Iron Man begann, aber schon viel früher anfing. Gerade Spider-Man hat ein ausgeprägtes Vorleben, die Trilogie von Sam Raimi mit Tobey Maguire in der Hauptrolle ist aus heutiger Sicht prähistorisch, danach gab es zwei Filme mit Andrew Garfield für Sony-Columbia, die von dem nebenan schon expandierenden Marvel-Universum nichts wissen wollten.

Disney hat aus den Comics längst eine ganze Industrie gemacht, die (um es mit dem Philosophen Leibniz zu sagen) possibilistisch arbeitet: In angedockten Serien oder animierten Versionen werden andere Möglichkeiten ausprobiert, einmal bekam Spider-Man sogar ein eigenes Spider-Verse, in dem die Identität des Superhelden im Grunde austauschbar wurde. Das alles ist Material, mit dem Fans bei der Stange gehalten werden, mit dem sie eingeladen werden, mit Kevin Feige und seiner Schreibarmee mitzutüfteln, also mit den obersten Autoritäten, die das MCU göttergleich steuern. Wo schwer Vereinbares irgendwie dann doch zusammenpasst, sind wir mitten in einer heutigen Mythologie.

Schnee durch Feuer

Das Drehbuch von Chris McKenna und Erik Sommers für Spider-Man: No Way Home findet für diese Ungleichzeitigkeiten und erzählerischen Reibereien nun eine schöne Lösung. Peter Parker wendet sich an einen seiner neuen Alliierten aus der Avengers-Welt. Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) ist der Meister des Multiversums, und auf Grundlage einer Theorie vieler Welten lässt sich nun prächtig mit Figuren von seinerzeit jonglieren: Willem Dafoe als Green Goblin kommt zwar aus der Vergangenheit, er kommt aber auch von der Seite, durch eine Zeitfalte. Er bereitet die zentrale Pointe des neuen Films vor, die klarerweise der Geheimhaltung unterliegt.

Nur so viel: Sie hat Charme. Ansonsten muss man, um Spaß zu haben, weiterhin Abstrusitäten glauben wie die, dass das Multiversum sich mit einer tragbaren Schicksalskiste steuern lässt, in der Metallringe durcheinanderwirbeln. Oder dass es durch einen Feuerring, den jemand mit der Hand in die Luft zeichnet, von Sibirien nach New York schneien kann. Am MIT sind sie da wahrscheinlich schon weiter. Aber das ist eine andere Heimat. (Bert Rebhandl, 15.12.2021)