Sie ist ein kritischer Geist: Bei den Grünen hat sich Kultursprecherin Eva Blimlinger nicht nur Freunde gemacht.

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Lange wurde sie als Kulturstaatssekretärin gehandelt, doch daraus wurde nichts. Die ehemalige Rektorin der Wiener Akademie der bildenden Künste, Eva Blimlinger, mischt aus der zweiten Reihe in der heimischen Kulturpolitik mit. Hier zur Videoversion dieses StandART-Gesprächs.

STANDARD: In den letzten Monaten kam es zu viel Ernüchterung, weil das Publikum in Theatern oder Museen nicht wiederkam. Kommt eine Redimensionierungsdebatte auf uns zu?

Blimlinger: Es gibt Theater und Opernhäuser, wo es weiterhin eine hohe Auslastung gibt. Zum Beispiel die Staatsoper. Andere haben eine sehr niedrige. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Aber ich will das Problem nicht kleinreden. Die Strukturdebatte wird geführt, das Auslastungsproblem gibt es nicht erst seit der Pandemie.

STANDARD: Die Strukturdebatte wird geführt?

Blimlinger: In Deutschland führt man seit zehn Jahren diese Debatte, hat Theater zugesperrt. Das hat es bei uns nie gegeben. Obwohl manche Theater schon vor der Pandemie sehr schlecht ausgelastet waren. Wichtig ist, dass man die Debatte in dem Sinne führt, was Land, Städte und das Publikum wollen und brauchen. Es heißt, es sollen neue Besucherschichten erreicht werden. Ich gehe selbst gerne in klassische Konzerte: Im Musikverein gehöre ich mit 60 zu den Jüngeren im Parkett.

STANDARD: Können Sie sich wirklich vorstellen, Theater zuzusperren?

Blimlinger: Das kann ich mir in bestimmten Zusammenhängen tatsächlich vorstellen. Das bedeutet ja nicht, dass dort nichts mehr passiert, Theater müssen jedenfalls Räume für Kunst und Kultur bleiben. Die Frage ist, ob klassisches Theater, wie wir es kennen, für jeden Aufführungsraum das geeignete Format ist – oder man vielleicht in einem Theater auch etwas gänzlich anderes machen kann.

STANDARD: Hätte man bezüglich der Josefstadt in diese Richtung denken sollen? Diese wurde gerade in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit 5,5 Millionen entschuldet. Das Theater hat Kurzarbeit nicht in Anspruch genommen und munter weiterproduziert.

Blimlinger: Eines muss man schon sagen: Man kann nicht ununterbrochen Theater entschulden. Die Josefstadt ist ja nicht das einzige Haus, das wir gemeinsam mit der Stadt Wien entschuldet haben.

STANDARD: Also hätten Sie die Josefstadt in den Konkurs geschickt?

Blimlinger: Natürlich hätte ich das nicht gemacht. Was bleibt einem anderes übrig, als zu entschulden. Ansonsten wäre das Theater wirklich zu. Das wünscht sich niemand. Apropos wünschen: Könnte man angesichts der Pandemie vielleicht in dem einen oder anderen Theater auch hie und da ein Lustspiel spielen? Wie wäre es mit Molière? Das brauchen wir momentan alle.

STANDARD: Der Wunsch ist deponiert. Zum Auslastungsrückgang in den Museen: Belvedere oder Albertina haben bis zu 80 Prozent ihrer Besucher verloren. So schnell werden diese, weil Touristen, auch nicht wiederkommen.

Blimlinger: Das sehe ich nicht so: Die Touristen werden relativ schnell wiederkommen, das hat man auch in den letzten Monaten gemerkt. Das Niveau von vor der Pandemie wird man aber nicht mehr so schnell erreichen. Man wird etwa Ausstellungen stärker aus den eigenen Beständen machen müssen, was in Hinblick auf die Aufträge in den Museumsordnungen auch Vorteile hätte. Albertina-Direktor Klaus-Albrecht Schröder wird aufschreien, sollte er es lesen, aber jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, dass die Depots der großen Museen rammelvoll sind. Kosten ließen sich durch Ausstellungen aus den Beständen stark minimieren.

STANDARD: Die Politik hat in der Vergangenheit jenen auf die Schultern geklopft, die mit Blockbuster-Ausstellungen Besucherrekorde erzielt haben.

Blimlinger: Gegen diese Politik war ich immer. Wir hatten kurz eine Arbeitsgruppe, die die Qualität von Museen abseits von quantitativen Zahlen evaluiert hat. Diese Gruppe hat zweimal getagt, dann waren alle wieder mit ihren Rekorden beschäftigt. Diese Konkurrenzsituation ist durch die Ausgliederung der Museen entstanden.

STANDARD: Zum Lueger-Denkmal: Schon 2009 wurde ein künstlerischer Wettbewerb zur Umgestaltung ausgelobt. Jetzt bereitet die Stadt Wien wieder einen vor. Drehen wir uns im Kreis?

Blimlinger: Man kann sich nicht entscheiden, was man mit dem Denkmal will. Immer dann, wenn man nicht mehr weiterweiß, muss die Kunst einspringen. Man könnte auch Historiker bitten, das Denkmal zu "kontextualisieren". Ich kann diesen Begriff schon nicht mehr hören. Es ist eine Farce.

STANDARD: Sie haben vorgeschlagen, Lueger durch ein Theodor-Herzl-Denkmal zu spiegeln oder in den Schatten zu stellen. Noch eine Option?

Blimlinger: Die bessere Idee war das Ergebnis des Wettbewerbs von 2009, nämlich Lueger leicht zu neigen. Aber ich stehe nach wie vor zu meinem Vorschlag, wobei ich nicht an ein figuratives Theodor-Herzl-Denkmal denke.

STANDARD: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Erinnerungskultur, gleichzeitig sprechen Sie sich gegen ein Haus der Geschichte aus. Warum?

Blimlinger: Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, aber ich bin gegen die Form des jetzigen Hauses der Geschichte. Im Jahr 2009 gab es ein gutes Konzept für einen Neubau von Claudia Haas. Sie schlug nicht ein Museum vor, in dem Objekte fetischisiert werden, sondern wo die Auseinandersetzung ohne diesen auratisierenden Aspekt erfolgt.

STANDARD: Also doch ein Neubau?

Blimlinger: Ja, aber sicher nicht am Heldenplatz, dieser gehört freigemacht von Parlamentscontainern, Autos oder anderem Gerümpel. Es ist eine Finanzierungsfrage: Der Neubau, den ich für gut hielte, muss nicht in der Innenstadt stehen. Ein idealer Platz wäre beim Hauptbahnhof oder in der Seestadt Aspern.

STANDARD: Sie haben das Regierungsprogramm im Kulturprogramm maßgeblich mitverhandelt. Dort hat es der Neubau nicht hineingeschafft. Seitdem hört man von Ihnen im Kulturbereich wenig. Warum?

Blimlinger: Ich konnte mich beim Koalitionspartner für einen Neubau nicht durchsetzen. Meine Zurückhaltung in Kulturfragen hat mit zwei Dingen zu tun: zum einen mit Staatssekretärin Andrea Mayer, die das Regierungsprogramm umsetzt. Zum anderen habe ich als Parlamentarierin eine andere Aufgabe, diese ist zwar umsetzungsorientiert, aber erfolgt in der trockenen Materie der Gesetze. Da bietet sich kein öffentliches Streiten an.

STANDARD: Mit einem Interview in "Woman" waren Sie beim Wechsel im Staatssekretariat von Ulrike Lunacek zu Mayer prominent beteiligt. Das hat viele Grüne verstört. Müssen Sie deshalb aus der zweiten Reihe agieren?

Blimlinger: Wahrscheinlich haben mir das manche nicht verziehen, aber noch einmal: Meine Rolle ist eine andere, ich stehe in der parlamentarischen Reihe.

(INTERVIEW: Stephan Hilpold, 18.12.2021)