Bei der oberösterreichischen Pierer Mobility AG ist derzeit für jede Menge Gesprächsstoff gesorgt. Das Unternehmen, zu dem die Motorradmarke KTM mit Produktionsstätte in Mattighofen gehört, zahlt eine Prämie von 750 Euro an alle Impfwilligen. "Das hat schon eine Debatte in Gang gesetzt", sagt Vorstand Viktor Sigl.

Die einen, die schon immunisiert sind, freuen sich über die Prämie. Bei so manch anderem habe wohl zumindest ein Nachdenkprozess eingesetzt. Ob er dann tatsächlich dazu führt, dass sich mehr Beschäftigte im Unternehmen impfen lassen? Sigl hofft es sehr. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter in der Produktion sind nicht geimpft.

Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, müssen noch ziemlich viele überzeugt werden, sich den Stich zu holen.
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Katharina Gangl kann der Aktion viel abgewinnen. Die Verhaltensökonomin am Institut für Höhere Studien (IHS) beschäftigt sich schon lange mit der Frage, ob eher die Drohung mit der Strafkeule wirkt oder doch die guten Argumente Bürger und Bürgerinnen motivieren, ihr Scherflein zum Großen und Ganzen beizutragen. Was die heiß diskutierte Impfpflicht betrifft, "können wir den Staat jetzt nicht alleinlassen", sagt Gangl. Unternehmen, Vereine, Freiwilligenorganisationen, Interessenverbände müssten jetzt all ihr Know-how, ihre Ressourcen mobilisieren und tätig werden, sagt die Forscherin.

Briefe mit einem Impftermin

Wenn schon allgemeine Impfpflicht, dann muss man sie zumindest vernünftig umsetzen, sagt Gangl. Sie hat sich gemeinsam mit Kollegen vom IHS eine Art Beipackzettel für die Politik überlegt. Die wichtigste Botschaft: Jetzt müsse man die Leute direkt ansprechen, wenn schon das aus ihrer Sicht "extrem mächtige Instrument, Briefe mit einem Impftermin auszuschicken, viel zu lange auf sich warten ließ. Portugal sei damit sehr erfolgreich gewesen. Möglicherweise müsse man dann sogar noch einmal telefonisch nachlegen – und mit sanftem Nachdruck erinnern, dass der Termin anstehe.

Zu Risiken und Nebenwirkungen einer allgemeinen Impfpflicht haben sich Wissenschafter vor Monaten mit Einwänden eingebracht. Verschiedene Studien zeigen nämlich, dass die Sache leicht nach hinten losgehen kann. Der IHS-Forscher Florian Spitzer ist einer von ihnen, der zahlreiche Bedenken hat, dass eine solche Verpflichtung wirklich der effektivste Weg sein kann, die Impfquote zu erhöhen. Die einschlägige Forschung macht einige Beweggründe dingfest, die Menschen für oder gegen den Stich motivieren.

Falsch eingeschätzt

Menschen neigten dazu, Risiken und Nebenwirkungen falsch einzuschätzen, und täten sich schwer damit, darauf basierend vernünftige Entscheidungen zu treffen. Aktivitäten mit unmittelbaren Kosten, aber nicht sofort ersichtlichem Nutzen würden gerne aufgeschoben. Impfungen gehören für viele dazu: Die Kosten wie eventuelle Nebenwirkungen fallen sofort an, der Nutzen in Form des Schutzes vor Ansteckung kommt erst langfristig zum Tragen – für manche gar nicht. Denn wer sagt, dass man sich tatsächlich mit dem Virus infiziert?

Wer oder was kann einen zur Covid-Impfung motivieren, wenn man im Grunde eher dagegen ist? Mit dieser Frage beschäftigen sich auch Verhaltensökonomen.
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Wahrscheinlichkeiten würden falsch eingeschätzt, das Risiko einer ernsthaften Erkrankung unter- und jenes der unmittelbaren Nebenwirkungen der Impfung überschätzt, so Spitzer. Außerdem tun wir uns mit dem Lesen von Zahlen und Statistiken schwer. Es sind einige Ansätze, die unter anderem erklären können, warum wir mit dem Impfen nicht weitergekommen sind.

Doch zurück zu den möglichen unerwünschten Nebenwirkungen des verpflichtenden Stichs: noch vehementere Abwehr bei jenen, die sich vom Staat gegängelt fühlen, eine noch tiefere Angst vor Impfungen jeglicher Art, eine noch massivere Abkapselung von Menschen auf der anderen Seite des Meinungsspektrums. Die Folge könnte sein, dass Menschen etwa auch andere, weniger umstrittene Impfungen verweigern und grundsätzlich weniger kooperativ sind, wenn es um wichtige Gesundheitsthemen geht.

Eng definierte Ausnahmen

Gangl hat deswegen eine klare Meinung dazu, was nun zu tun sei: "Wir brauchen Leute, die mit den Menschen auch reden können." Personen, die etwa mit Konfliktmanagement vertraut seien. "Wie muss ich ein Aufklärungsgespräch führen mit Angstpatienten, mit Radikalisierten, aber auch mit Menschen, die ihren Termin einfach vergessen haben?" Für diese Aufgaben brauche es "massiv mehr Personal", ist Gangl überzeugt. Und eben Unterstützung von Unternehmen.

Auch Barbara Preinsack drängt darauf, die Impfpflicht – so sie schon kommt – so effektiv umzusetzen, dass man auch wirklich alle erreicht, die sich nicht nur aus medizinischen Gründen verwehren. Die renommierte Politikwissenschafterin (Uni Wien), die sich unter anderem mit Fragen der Solidarität befasst, rät, Ausnahmen ganz eng zu definieren und diese nicht über Hausärzte bestätigen zu lassen.

Auch sie hält personalisierte Beratungsangebote anstatt der diskutierten Beratungspflicht – durch sogenannte Community-Leader, wie es in der wissenschaftlichen Literatur heißt – für ein probates Mittel. Menschen, denen vertraut wird und auf deren Meinung man etwas hält: Sei es der Pfarrer, vielleicht Hausärzte oder der Fußballverein. Man müsse die Leute "proaktiv auf ihre Verantwortung hinweisen", sagt Prainsack.

Der Traum vom Leben ohne Pandemie wird wohl so rasch nicht in Erfüllung gehen.
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Zielgruppengerechte Ansprache ist für viele Verhaltensforscher jetzt das Gebot der Stunde. Wie ein gut orchestrierter Wahlkampf müsse das laufen, rät Katharina Gangl zu Botschaften via Plakate, Hausbesuche, an Straßenständen und in Social Media. Sie ergänzt Prainsacks Liste der potenziellen Überbringer der Botschaften durch Vorbilder, Polizisten, Krankenschwestern oder Expertinnen. Politiker und Politikerinnen gehören nicht dazu.

Goodie für den Stich

Unternehmen spielen in ihrem Kalkül eine große Rolle. Sie hätten als unmittelbarer Ansprechpartner, dem die Beschäftigten vertrauen, gute Karten, auch in der Frage der Impfpflicht durchzudringen. KTM habe die Impfprämie sehr geschickt in sein Belohnungssystem eingebaut, urteilt Gangl.

In der Motorradschmiede wird es für alle 4200 Mitarbeiter eine ordentliche Prämie geben – 2000 Euro brutto als Sonderzahlung plus 300 als Einzahlung in eine Versicherung. Für jene, die eine Corona-Impfung nachweisen, gibt es noch 750 Euro obendrauf. Ein lohnenswerter Ansatz, sagt Gangl. Das IHS lädt Unternehmen am 21. Jänner 2022, 10 Uhr, zum virtuellen Erfahrungsaustausch (event@ihs.ac.at).

KTM-Vorstand Viktor Sigl kann dann vielleicht schon berichten, ob es in Mattighofen gelingt, das erwünschte Verhalten anzustupsen. "Es gibt ja noch Zeit zum Nachdenken über die Weihnachtsfeiertage." (Regina Bruckner, 18.12.2021)