Louise Alder als Cleopatra in "Giulio Cesare in Egitto".

Foto: Monika Rittershaus

Wien – Im Theater an der Wien werden die Türen bald für längere Zeit geschlossen – wenn nicht schon zur Omikron-Abwehr im Jänner, dann zur umfassenden Sanierung ab März. Bei der Premiere von Händels "Giulio Cesare in Egitto" blickt man am Freitagabend vom Publikumsraum des traditionsreichen Musiktheaters bühnenwärts auf ein Filmtheater, das ebenfalls dringend der Renovierung bedarf. Die Goldfarbe blättert von den klassizistischen Wänden, ein Balkon muss gestützt werden. Ein abgetakeltes Cinema Paradiso als Jahrmarkt der Eifersüchteleien und Intrigen.

Die Amour fou von Cäsar und Cleopatra, die dort auf der Leinwand als Vorspann in Schwarz/Weiß beginnt, setzt sich aber glücklicherweise bald in Farbe und mit Ton fort. Keith Warner hat in seiner Inszenierung Stummfilm und Barockoper miteinander verquickt, sind doch extreme Gefühle und exaltierte Gesten in beiden Kunstgattungen von einer prägenden Dominanz.

Der Handlungsgang von Händels Erfolgsoper von 1724 ist, wie damals üblich, als eine Abfolge von drastischen emotionalen Wechselfällen angelegt: Leid und Trost, Wut und Rache, Liebe und Hass folgen im Zehn-Minuten-Takt aufeinander, übersichtlich portioniert und abgepackt in Rezitative und Da-Capo-Arien. Routinier Keith Warner, er arbeitet bereits zum zehnten Mal am Haus, bebildert Letztere zumeist fantasievoll – das ist bei Barockopern schon mal die halbe Miete. So wird ein Duett von Cäsar und Tolomeo (Cleopatras Bruder und Rivale) als pittoreskes Federballduell inszeniert. Großflächige Projektionen illustrieren die zahlreichen Handlungsorte und kreieren stimmungsvolle Bilder von Gärten und Meeresufern (Ausstattung: Ashley Martin-Davis, Video Design: David Haneke).

Star von Arie zu Arie

Louise Alder bekommt als Cleopatra von der Regie nicht nur die Bühne des Filmtheaters zu ihrer Präsentation überlassen, sie wird auch von Arie zu Arie immer mehr zum Star des Abends – wenn die Britin für ihr Hausdebüt wahrscheinlich auch nicht ganz so reichlich entlohnt wird wie Elizabeth Taylor ihrerzeit für Mankiewicz' Monumentalschinken. Alders draller, vitaler Sopran gefällt auf der lyrischen Langstrecke genauso wie in dramatischen Gefilden oder im Whirlpool der Koloraturen.

Ihre Kollegen vom Kopfstimmenfach machen ihre Sache auch gut: Bejun Mehta ist auch auf vokalem Gebiet ein durchsetzungsfähiger Imperator, Christophe Dumaux’ fieser, fetthaariger Tolomeo im Tarantino-Style erfrischt, Jake Arditti enthauptet ihn als Sesto aber trotzdem. Rache muss sein. Weich und warm: Patricia Bardon als Sestos selbstmordaffine Mutter Cornelia, kraftstrotzend Simon Bailey als Achilla, Tolomeos Feldherr. Die gestischen Arabesken, mit denen Dirigent Ivor Bolton den Concentus Musicus Wien anleitet, geraten differenzierter und fantasievoller als das klangliche Resultat seiner Arbeit.

Während Moshe Leiser und Patrice Caurier das Stück 2012 bei den Salzburger Pfingstfestspielen durch forcierten, quietschbunten Klamauk leider auf eindimensionale Weise kaputtbespaßten, gelingt Warner eine fein abgewogene Mischung aus Poesie und Komik, aus filmreifer Aktion und berührender Kontemplation, die über dreieinhalb Stunden unterhält und die Aufmerksamkeit auch bei überheizten Raumverhältnissen aufrechterhält.

Auf den britischen Regisseur würden im neuen Jahr Führungskräfte heimischer Großtheater folgen: Martin Kušej inszeniert die "Tosca", Lotte de Beer "Jenŭfa". Obwohl natürlich "Parsifal" die Oper der Stunde wäre: Die Ritterburg inszeniert als Krankenhaus und der Heilige Gral als Gefäß für ein Impfserum, das allen Virusvarianten trotzt. Rudolf Anschober gibt den Primarius Titurel, Wolfgang Mückstein seinen Amtsnachfolger Amfortas. Als Parsifal gesetzt: Karl Lauterbauch. "Höllenrose" Kundry: Dagmar Belakowitsch. Vielleicht disponiert Roland Geyer ja noch schnell um. (Stefan Ender, 18.12.2021)