Ohne Verschwörungsfantasie geht’s nicht. Ohne Antisemitismus auch nicht. Auf jeder Corona-Schwurbler-Demonstration in Mitteleuropa wird massiv der Verdacht geäußert, dass da schattenhafte Hintermänner, gerne auch jüdische, eine ganz große Weltverschwörung ausgeheckt haben: Soros, Rothschild und andere sind die Namen, die dafür stehen.

Klischees von immensem Reichtum und (eingebildeter oder übertriebener) Macht verselbstständigen sich – und kehren wieder, nachdem zumindest der antisemitische Topos eine Zeitlang verfemt war. Eine Ahnung davon kann man jetzt durch zwei kulturelle Dokumentationen bekommen, die sich mit der Familie Rothschild und ihrer Beziehung zu Österreich beschäftigen. Im Jüdischen Museum der Stadt Wien wird seit kurzem die Ausstellung Die Wiener Rothschilds. Ein Krimi gezeigt, im ORF lief Dienstagnacht Universum History – Die Rothschild-Saga.

Die Rothschilds begannen ihren Aufstieg im frühen 19. Jahrhundert in Frankfurt am Main aus ärmlichsten Verhältnissen und schufen sich Stützpunkte in ganz Europa. Ungeheurer Fleiß und finanzielle Begabung führten zu gewaltigem Reichtum und Emanzipation als Bürger. Der Universum History-Film setzt interessanterweise bei einem weiblichen Mitglied der Familie an, Miriam Rothschild aus dem englischen Zweig, die in diesem Doku-Drama die Geschichte der eigenen Familie de- und rekonstruiert – bis zur Vertreibung und Beraubung des letzten österreichischen Rothschild, Louis Nathaniel, 1938.

Im Universum History-Film wird Miriam Rothschild von Alina Fritsch gespielt.
Foto: ORF

Verfolgung

Die Rothschilds waren eine treibende Kraft bei der Industrialisierung der Monarchie, die seinerzeit größte Bank, die Creditanstalt, war im Mehrheitsbesitz. Louis Nathaniel Rothschild konnte nach dem "Anschluss" Österreich nicht mehr rechtzeitig verlassen, wurde von der Gestapo verhaftet und ein Jahr lang im berüchtigten Hotel Metropol in Einzelhaft gehalten, immer unter brutalster Drohung. Bis er 21 Millionen Reichsmark (etwa 92 Millionen Euro) an die Nazis überwiesen hatte. Das restliche, noch viel größere Vermögen, darunter gewaltige Kunstschätze, wurde beschlagnahmt.

Und nach dem Krieg nur sehr, sehr zögernd und nur zum geringen Teil zurückgegeben. Man zwang Rothschild sogar, einen Teil der Republik zu stiften, um den Rest ausführen zu können. Auf dem Grundstück des ehemaligen Palais Rothschild wurde die Arbeiterkammer errichtet. Diese trübe Nachkriegsgeschichte (die heute noch andauert) bildet einen Teil der Ausstellung im Jüdischen Museum.

Der Historiker Götz Aly verweist in seinem Buch Warum die Deutschen? Warum die Juden? auf den unterschiedlichen Wert, den die jüdische und die christliche Gesellschaft auf die Bildung der Kinder legten. "Lesen verdirbt die Augen" – das konnte man noch im Österreich der 50er-Jahre hören. Neid auf die jüdischen Aufsteiger sei ein wesentliches Element der Schrecknisse des 20. Jahrhunderts gewesen. Aly endet sein 2011 erschienenes Buch mit Pessimismus: Wir sollten nicht glauben, "die Antisemiten von gestern seien gänzlich andere Menschen gewesen als wir Heutigen". (Hans Rauscher, 22.12.2021)