Die Geschichte, die ich hier erzähle, ist nicht meine. Sie ist die Geschichte eines Kindes – und gleichzeitig vieler anderer. Das Kind, mit dem diese Geschichte beginnt, ist gerade in einem Alter, in dem Kinder zu Jugendlichen werden. In der Schule tat sich das Kind immer leicht. Nach der Volksschule kam es ins Gymnasium, und bereits im ersten Winter begann die Pandemie.

Ein Lockdown folgte, doch sollte das zweite Schuljahr, wie es hieß, wieder ganz normal anfangen. Stattdessen kam es bald zu einem zweiten Schul-Lockdown, ebenso schnell entstanden neue Dynamiken in der Klasse. Die Chatdialoge uferten aus. Das gegenseitige Hinausgekicke aus den digitalen Bild- und Tonschaltungen nervte. Immer noch tat sich das Kind mit dem Lernen leicht, doch immer öfter wurde es ärgerlich.

Testen für den Ninja-Pass in der Schule: Dieser gilt nun auch in den Ferien als 2G-Nachweis für nicht beziehungsweise nicht vollständig geimpfte Jugendliche im schulpflichtigen Alter (von 12 bis 15) aus dem In- und Ausland.
Foto: Imago/Uta Wagner

Als das Kind im Winter endlich wieder mit den anderen in der Klasse saß, hatte es keine Maske mehr auf. Der Elternteil, der mit dem Kind lebte, hatte eine Maskenbefreiung erwirkt. Als einziges Kind ohne Maske wurde es zum Außenseiter. Dass Masken in seinem Zuhause grundsätzlich infrage gestellt wurden, spitzte die Rolle des Kindes weiter zu. Die Situation eskalierte. Irgendwann im Spätwinter blieb das Kind im Heimunterricht. Dort war es kein Außenseiter mehr, die Klasse, die Maske, die Konflikte rückten weg. Das Kind atmete auf, es hatte zu Hause eine Schutzzone um sich, die an Bedeutung noch gewann, je drängender die Frage einer Impfung wurde, stand diese doch im Zuhause des Kindes mindestens ebenso im Zweifel wie die Maske.

Die dritte Schulstufe begann. Das Kind wollte nicht mehr in die Schule zurück. Mit dem Stoff tat es sich leichter denn je. Dass sich das Kind für die Wochenenden mit dem anderen Elternteil testen lassen musste, um einen Beherbergungsbetrieb oder ein Gasthaus zu betreten, wurde schnell zur Selbstverständlichkeit. Einer geimpft, der andere getestet, Maskenpflicht auf dem Weg zum Tisch, so konnte sogar fein gegessen werden. Auch das war wichtig.

Sie hoben ihre Gläser, Limonade und Wein, und sprachen über die Pandemie, über das Impfen und ihre unterschiedlichen Auffassungen davon. Oft genug gelangten sie in gefährliche Gewässer, mussten die entsprechenden Untiefen jedoch immer seltener umschiffen, so dicht knüpften sie das Netz ihres Austausches. Daran hielten sie fest, und ließen erst recht nicht davon ab, als den ersten Maßnahmendrohungen gegen jene, die noch nicht geimpft waren, Verordnungen folgten, die das Kind selbst betraften: Zu- oder Eintrittsverbote nicht nur für so gut wie alle Bereiche des täglichen Lebens, sondern auch für Skifahren, Skilanglaufen oder Eislaufen. Ebenso wie für die regelmäßigen Wochenenden in der Frühstückspension mit jenem Elternteil, der nicht bei dem Kind lebte.

Der Rückzug des Kindes

Das Kind zog sich zurück. Ob Impfstatus oder häuslicher Unterricht, als Kind konnte es an all dem nichts rühren, geschweige denn von der bedingungslosen Solidarität mit dem Elternteil abrücken, bei dem es lebte. Nicht einmal die Frage, ob überhaupt gerecht war, dass es im Unterschied zu den Kindern, die in der Schule Zugang zum Ninja-Pass als 2G-Gleichstellung hatten, nun von so vielen Bereichen seines bisherigen Lebens ausgeschlossen war, stellte es noch.

Das Einzige, womit der andere Elternteil jetzt helfen konnte, war dessen Vertrauen in die Aufgabe des Staates, gerade all jenen beizustehen, die allein keine Möglichkeit hätten, ihre gesellschaftlichen Grundrechte zu wahren. Ob ein solches Vertrauen zu hoch gegriffen war? Immerhin hatte der Elternteil mit seinem Vertrauen noch im letzten Jahr dafür gesorgt, dass die damaligen Lockdown-Bestimmungen auch offiziell dahingehend ausgelegt wurden, dass ihnen beiden, wie vielen anderen, das Auftreten eines "dringenden Wohnbedürfnisses" in "Ausübung familiärer Rechte und Pflichten" erlaubte, Beherbergungsbetriebe zu betreten und damit die gemeinsamen Wochenenden zu retten.

Ob das noch einmal gelänge? Das Kind, das in solchen Gedanken längst wie ein Erwachsener wirkte, glaubte nicht mehr daran. Es las Bücher, ging spazieren, fuhr mit dem Rad herum und tat all das auf geradezu unheimlich abgeklärte Weise. Entsprechend dringlich fragte der Erwachsene am 11. November im zuständigen Ministerium an, ob entsprechend regelmäßiges Testen Kindern im häuslichen Unterricht als Alternative zum Ninja-Pass dienen könnte? Antwort kam keine. Am 16. November fragte er noch einmal, woraufhin es am nächsten Tag hieß: "Nein, dies ist alternativ nicht zulässig."

Schwarz auf weiß geschrieben bedeutete das zwar eine Enttäuschung, bestärkte gleichzeitig aber den Unglauben, dass der Staat Kindern die Gleichbehandlung mit andern Kindern aufgrund einer Unterrichtsform verweigern dürfte, die vor staatlichen Gesetzen rechtens war. Mit dem nahenden Lockdown dieses Novembers vor Augen, der bald darauf zur Aufhebung der Präsenzpflicht an den Schulen führte, stellte sich wenige Tage später zudem die Frage, welche 2G-Gleichstellung für die nunmehr ebenfalls zu Hause bleibenden Kinder gelte und ob eine derartige Regelung Kinder im häuslichen Unterricht weiterhin ausschlösse.

Martin Prinz, geboren 1974, lebt als Schriftsteller in Wien.
Foto: Heribert Corn

Diesmal kam die Antwort aus dem Ministerium bereits einen Tag später, zitierte aber lediglich eine für Schulkinder entsprechend modifizierte Verordnung, überließ die Kinder im häuslichen Unterricht weiterhin ihrem Schicksal und schloss mit einem Verweis an das Bildungsministerium. Dort verstand man die Problematik auf Anhieb, hatte jedoch keine Handhabe, lägen die gesetzgeberischen Befugnisse doch allein beim Gesundheitsministerium. Gern fragte man dort jedoch nach, immerhin ginge es um keine kleine Gruppe an Kindern.

Touristischer Kontext

Anstatt einer Antwort aus dem Gesundheitsministerium folgte im Bildungsministerium jedoch ein Ministerwechsel, der auch den Abschied des in der Sache befassten Mitarbeiters nach sich zog. Weshalb der Erwachsene nun nicht nur die Kinder- und Jugendanwaltschaft einschaltete und noch einmal im Gesundheitsministerium anfragte, sondern auch den Vizekanzler als Sportminister anschrieb. Wobei Letzteres auf geradezu handgreifliche Weise in diesen Tagen immer folgerichtiger wurde, je weniger das Kind noch hinausging, obwohl es sich bei einsetzendem Schneefall doch so sehr nach allem sehnte, was ihm nun schon seit Wochen verboten war.

Zudem lag den Ministerien inzwischen auch ein kurzes Rechtsgutachten der Kinder- und Jugendanwaltschaft vor. Die juristische Lage erschien damit so klar, dass im Bildungsministerium am Abend des 13. November bereits von einer neuen und nunmehr hoffentlich positiven Antwort des Gesundheitsministeriums ausgegangen wurde. Stattdessen kam eine Antwort erst am nächsten Tag. Darin fanden sich zwar tatsächlich Ausnahmeregelungen für den 2G-Nachweis, diese galten jedoch nur für Kinder aus anderen Ländern in touristischem Kontext. Darüber hinaus hieß es unverändert rigide: "Eine generelle Ausnahme 12- bis 15-jähriger Jugendlicher von der 2G-Regel mit der Argumentation, dass sie ohnedies einem seriellen Testregime eingegliedert sind, ist nicht möglich."

Was war das jetzt? So empörend die Ungleichbehandlung in Hinblick auf die touristische Ausnahme auch wurde, allmählich ließ sich hinter Unglauben und Wut auch Resignation nicht mehr ganz verdrängen. Wer solch zynische Verordnungen erließ, hatte sich offenbar einbetoniert! Ein Eindruck, der sich buchstäblich erhärtete, als das Gesundheitsministerium nach nochmaliger Rückfrage so weit ging, in der Chefredaktion dieser Zeitung gegen die Recherche zu diesem Text zu intervenieren. Und selbst positive Signale, die auf einmal aus Bildungsministerium wie Vizekanzleramt eintrafen, weckten keine größere Hoffnung mehr.

Insofern mag es ein banales Rätsel bleiben, warum der am darauffolgenden Tag vorgestellte Holiday-Ninja-Pass auf einmal doch alle schulpflichtige Kinder aus dem Inland wie Ausland umfasste und damit auch Kindern im häuslichen Unterricht als jener Ausweg diente, wie er bereits in der allerersten Anfrage an das Gesundheitsministerium angesprochen worden war? Oder blickte einem daraus ein Kalkül entgegen, mit dem vermieden werden sollte, Kinder im häuslichen Unterricht – noch dazu nicht geimpfte – beim Namen zu nennen? Als gleichberechtigte Kinder im Staat. (Martin Prinz, ALBUM, 25.12.2021)