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Besonders stark von den stockenden Lieferketten betroffen ist neben der Fahrzeugindustrie auch der Maschinenbau.

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Die Corona-Pandemie hat viele schleichende Probleme offenkundig werden lassen. Eines davon sind die globalen Lieferketten, die seit Monaten in der Industrie mangels vorrätiger Rohstoffe und Vorprodukte für stillstehende Produktionslinien sorgen, obwohl die Auftragsbücher voll sind. Weltweites Epizentrum der derzeitigen Beschaffungskrise ist die Industrienation Deutschland. Dass die immer komplexeren Lieferketten nicht schon vor dem Corona-Schock für Probleme gesorgt haben, ist für Wifo-Chef Gabriel Felbermayr "Glück der Tüchtigen".

Epizentrum des Problems ist ihm zufolge Deutschland, wo der Volkswirt zuvor als Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft tätig war: "Deutschland ist in einer Industrierezession, die eindeutig angebotsseitig verursacht wird." Warum gerade dort? Das hat für Felbermayr hauptsächlich drei Gründe: Am stärksten von den gestörten Lieferketten betroffen sind der Maschinenbau und die Fahrzeugindustrie, in denen Deutschland führend ist. Dazu kommt: Das Land hat sich auf die Endmontage von Produkten spezialisiert. "Wenn dabei nur ein Teil fehlt, haben sie ein Problem", sagt Felbermayr.

Dreifache Belastung

Dazu kommt, dass sich Deutschlands Erzeuger in ihrer Branche auf hochwertige, Hightech- und margenstarke Segmente fokussiert hat – also jene, in denen auch die meisten Vorprodukte verbaut werden. "Das ist eine dreifache Belastung", sagt Felbermayr und verweist auf einen weiteren Grund: Die deutsche Fahrzeugindustrie habe zuvor viel Druck auf Zulieferer wie Chiperzeuger ausgeübt, sie also "nicht gut behandelt", wie es der Wifo-Chef formuliert. Nun würden die Chiphersteller ihre knappe Ware, gewissermaßen als Retourkutsche, an andere Abnehmer ausliefern.

"Das ist ein Riesenproblem auch für uns in Österreich." Einerseits hätten der Maschinenbau und die – wenn auch wesentlich kleinere – Fahrzeugindustrie hierzulande ähnliche Sorgen wie in Deutschland. Aber auch Zulieferer sind betroffen – und zwar nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig. Wenn etwa die deutsche Fahrzeugindustrie nun Marktanteile verliere, hingen die österreichischen Zulieferer mit drin, erklärt Felbermayr.

Die Belieferung mit Vorprodukten und Rohstoffen ist über die Jahre zu immer komplexeren Systemen angewachsen. Die Lagerhaltung dieser Teile wurde heruntergefahren und ist einer Just-in-time-Beschaffung gewichen. Soll heißen, Teile werden erst kurz vor der Montage geliefert. Dabei gilt: je höherwertiger die Endprodukte, desto verschachtelter die Beschaffung. Nun stockt das System – eine Fehlentwicklung, unter der Deutschland und Österreich jetzt leiden?

Eintrittsbarrieren

Keineswegs, meint Felbermayr. Die Konzentration auf hochwertige, komplexe Produkte mit hohen Margen samt dem Lieferkettensystem habe Eintrittsbarrieren für Mitbewerber geschaffen – das ließe sich etwa von indischen Mitbewerbern kaum kopieren. So können dem Wifo-Chef zufolge auch hohe Lohnkosten in Deutschland und Österreich gezahlt werden.

Nächstes Jahr werden sich die Probleme mit den Lieferketten zwar nicht auflösen, aber etwas verbessern, erwartet Felbermayr. Weniger Zuversicht zeigt eine Umfrage des deutschen Ifo-Instituts, der zufolge fast 82 Prozent der deutschen Firmen über Engpässe bei der Beschaffung klagen – ein Rekordwert.

Umklammerung

Um sich aus dieser Umklammerung zu befreien, benötigen Unternehmen die Unterstützung der Politik – etwa beim Aufbau einer regionaleren, breiteren Lieferantenbasis. Deutlich verstärkte Lagerhaltung lasse sich nicht so schnell umsetzen, denn dafür sei mitunter der dazu nötige Platz nicht vorhanden, wendet Felbermayr ein. Sein Fazit: Der Umbau der Lieferketten brauche Zeit und Unterstützung.

Was die Beschaffungsprobleme, die fast alle Branchen erfasst haben, für Abnehmer und Verbraucher bedeuten, geht ebenfalls aus der Ifo-Umfrage hervor, nämlich Inflation. "Mindestens jedes zweite Unternehmen plant, seine Preise in den nächsten drei Monaten zu erhöhen", sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. (Alexander Hahn, 25.12.2021)