Der Klassiker unter den Neujahrsvorsätzen: schlechte Gewohnheiten ablegen. Doch es gibt Verhaltensweisen, die man eigentlich gar nicht loswerden will. Weil sie peinlich sind, aber auch viel Genuss bringen. "Guilty Pleasures" nennt man derlei auf Englisch. Mitglieder der STANDARD-Redaktion bekennen sich zu ihrer Liebe zu Trash-TV, Groschenromanen und Fastfood.

Bei Groschenromanen gilt: Quantität vor Qualität.
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Groschenromane: Anarchie im A5-Format

Zwischen Kaugummipäckchen und Schokoriegeln, direkt an der Supermarktkasse, liegt ein kleiner Schatz vergraben. Ein Stapel dünner Büchlein im A5-Format für 2,99 Euro das Stück. Zwischen ihren Deckeln finden all die Geschichten ein Zuhause, die jeder halbwegs seriöse Verleger mit einem Naserümpfen und Lysoform von seinem Tisch wischt. Denn in Groschenromanen gibt es keinen durchdachten Plot, keine sinnvollen Wendungen, keine komplexen Charaktere.

Dafür gibt es böse Zwillinge, Entführungen und mindestens ein Liebes-Achteck – und genau deshalb macht es solchen Spaß, sie zu lesen. Groschenromane sind schlechte Bücher, und das sollen sie auch sein. Das wissen die, die sie lesen, und auch die, die sie schreiben. Nicht umsonst werden sie meist unter Pseudonym veröffentlicht und nur heimlich gelesen.

So kann man sich genüsslich fremdschämen, über die hemmungslosen Schilderungen lachen und am völlig sinnbefreiten Plot verzweifeln – und sich ein paar Seiten später doch dabei ertappen, wie man mitfühlt. Man muss es ja niemandem erzählen. (Ricarda Opis)

Köstlich: gekräuselte Nudeln in Glutamat-Sauce.
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Instant Noodles: Wohlfühlfaktor aus dem Becher

Ob auch Justin Timberlake ein Fan ist und sich in seinen Boyband-Jahren bei N’Sync frisurentechnisch davon inspirieren ließ, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Es soll hier auch gar nicht um Popstars aus der Retorte gehen, aber um ähnlich Künstliches: Mein Guilty Pleasure sind Instant Noodles. Und die sehen im Rohzustand eben wie die blondierten Locken auf dem Kopf des jungen Timberlake aus.

Doch hat man erst die beigefügte Gewürzmischung darübergestreut, sie mit etwas heißem Wasser aufgegossen und kurz umgerührt – schon verwandeln sie sich eine herrlich trashige Köstlichkeit. Die gekräuselten Nudeln in schlatziger Sauce direkt aus dem Becher zu schlürfen klingt so falsch, ist aber purer Genuss. Man muss sich nur trauen. Ist die Glutamatbombe erst im Mund explodiert, folgt das Endorphinfeuerwerk im Gehirn. Klar, gesunde Ernährung geht anders und hochwertige Lebensmittel zu essen tut gut. Aber manchmal hat auch Fastfood einen unglaublichen Wohlfühlfaktor. Den darf man sich ab und zu gönnen. (Michael Steingruber)

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Alles Gold, was glitzert – und hübsch verpackt ist.
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Verpackungen: Der Inhalt als Nebensache

"Wenn es glitzert, muss ich es haben!" – ist nicht nur ein beliebter Spruch auf diversen Geschenkartikeln, es ist auch das Mantra vieler Verpackungsopfer. Also meines.

Verschnörkelte Schrift, Pastelltöne, nostalgisches Design – es zieht mich einfach magisch an, ob ich es brauche oder nicht. Die neueste Kreation eines bekannten Waldviertler Teeproduzenten, die Special Edition eines Badezusatzes oder nasenbetäubende Duftkerzen: Wenn die Verpackung gefällt, wird der Inhalt zur Nebensache.

Mir ist bewusst, dass dieses Kaufverhalten weder logisch noch nachhaltig ist. Und obwohl ich auf Menschen immer getreu der Redewendung "Don’t judge a book by its cover" zugehe, schaffe ich das bei tatsächlichen Büchern leider nicht.

Ist es pure Dekadenz, oder bin ich wirklich ein Opfer der Verpackungsindustrie? Werde ich kommendes Jahr damit aufhören? Sollte ich mir einen Marie-Kondō-Ratgeber zulegen? Schwierige Fragen, über die ich wohl am besten Tee trinkend in einem Schaumbad umgeben von Duftkerzen nachdenken werde. (Anna Caroline Kainz)

Feierabendfernsehen mit Singles, Sonne, Seichtigkeit.
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Trash-TV: Romantik mittels Excel-Sheets

Ich snacke Trash-TV. Das Hirn ist voll nach der Arbeit, Regierungskrise hier, Corona-Krise dort. Nach Feierabend ist es Zeit, den Kopf in eine andere Welt zu katapultieren: in die der Menschen mit aufgespritzten Lippen, Fake-Wimpern und trainierten Muskeln auf der Suche nach der Liebe.

Reality-Formate sind ein hervorragender Quick Fix: Sie sind rasch verfügbar auf Streaming-Plattformen wie RTL+ (wenn man ein Abo hat – wie möglicherweise ich), sie bombardieren die Sinne und erfüllen verlässlich ihren Zweck. Bei "Are You the One?" treffen etwa 20 Singles in einer sonnigen Villa auf ihre möglichen Traumpartner. Wer zu wem passt, haben Psychologen vorab analysiert. Finden alle berechneten Seelenverwandten durch ihr köstliches heteronormatives Balzverhalten zueinander, winken 200.000 Euro.

Involvierte Zuseherinnen (wie möglicherweise ich) rechnen natürlich schon vor der Auflösung mit Excel-Sheets mit, welche Konstellationen die richtigen sein könnten. All das macht das Leben nicht besser, aber das Hirn angenehm leer. (Sandra Nigischer)

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Ersehnte Alltagserleichterung: der Lift.
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Lift fahren: Wie auf starken Armen aus dem Alltag fliehen

Es gibt Tage, die sind wie Bösewichte im Western: gemein und hinterhältig. Morgens stolpere ich aus dem Bett. Meine To-do-Liste ist länger als manche Klopapierrollen. Nach dem Heimwegseinkauf reißt das Sackerl mit den Zutaten fürs Abendessen.

Die schlimmsten Tage haben irgendwann aber ein Ende, zumindest fast. Dann komme ich in mein Wohnhaus. Wanke durch die Tür. Stehe vor der Treppe zu meiner Wohnung. Die Arme voller Einkäufe schmerzen, die Beine sind schwer: Die paar Stufen sehen plötzlich aus wie der Aufgang aus dem untersten Höllenkreis.

Hilfe ist nah – und bequem. Ein Knopfdruck, und das warme Licht des Lifts umhüllt mich. Wie starke Arme zieht mich der Aufzug hoch. Es ist ein kurzes Vergnügen: Im ersten Stock steige ich schon aus.

Wenn ich alle Alltagslast ablege und auf meiner Couch sitze, beißt mich das schlechte Gewissen. Einen Stock mit dem Lift fahren? Ist das echt notwendig? In einer perfekten Welt nicht. Aber wie in den besten Western braucht man gegen Bösewichte manchmal moralisch fragwürdige Unterstützung. (Ana Grujić)

Nicht gesund, nicht ökologisch, aber genussvoll.
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Cola in Dosen: Eiskalt genießen, notfalls nur virtuell

Eiskalt. Direkt aus der Dose. Ja, aus der Dose. Coca-Cola, mit Zucker oder, je nach Stimmung, mit null Zucker. Das geb ich mir manchmal, und ich gebe zu, es ist herrlich. Der Genuss übersteigt mein schlechtes Gewissen, dass Cola, na ja, vielleicht nicht das Gesündeste ist und Dosen nicht das Gebinde der Wahl sind, ökologisch gedacht. Immerhin entsorge ich sie brav im richtigen Container, flach zusammengequetscht. Als ob das meinen ökologischen Fußabdruck verkleinerte.

Das beste Dosen-Cola war übrigens jenes, das es nie gab, das ich nie getrunken habe. Es war im Buwog-Prozess, aus dem ich live berichtet habe, und es war heiß. Mein in die Welt draußen getickerter Seufzer, wie fein jetzt doch ein kaltes Cola wäre, löste bei den Usern eine Welle der Trinkhilfsbereitschaft aus. Einer nach dem anderen reichte das virtuelle, eisgekühlte Getränk weiter, bis es bei mir im Großen Schwurgerichtssaal angelangt war. Vorn Richterin und Angeklagte rund um Karl-Heinz Grasser, bestenfalls mit Wasser versorgt, hinten ich mit meiner eiskalten Cola-Dose. Ein Traum. (Renate Graber, 28.12.2021)