Wenn man sich in besonders turbulenten Zeiten wähnt, kann auch ein Rückblick nicht schaden. Zum Beispiel zu Ferdinand Redtenbacher (1809 bis 1863). Er gilt als "Begründer des Maschinenbaus als Wissenschaft". Die Industrialisierung war voll im Gang, ständig wurden neue Dinge erfunden. Die Dampfmaschine war auf dem Siegeszug rund um die Welt und veränderte Produktion und Transportwesen radikal.

Doch Redtenbacher war schon einen Schritt weiter. Von ihm sind folgende Satzfragmente überliefert: "Übrigens muss ich Ihnen gestehen, dass mich diese Steuerungsgeschichten der Dampfmaschine und die ganze Maschine selbst schon seit langer Zeit nicht mehr interessiert."

Bei Ferdinand Redtenbacher studierten neben Nicolaus Otto, Carl Benz und Emil Škoda noch weitere Berühmtheiten der Automobilgeschichte.
Foto: Redtenbacher-Gesellschaft Steyr / P. Kainrath

Er blickte lieber auf die thermodynamischen Prozesse dahinter. "Ich halte es von nun an lohnender, sich über die Wärme den Kopf zu zerbrechen und unserer jetzigen Dampfmaschine den Garaus zu machen ..." Er sah den Verbrennungsmotor als überlegene Perspektive, während der Erfolg der Dampfmaschine gerade erst ihrem Höhepunkt zustrebte. Wahrscheinlich würde er sich heute mit ähnlicher Begeisterung der Batterietechnologie, dem Wasserstoff und der Brennstoffzelle zuwenden.

Interessanterweise gab es zum Thema Elektronen zu Redtenbachers Zeit noch viele Unklarheiten. Beim Versuch, elektromagnetische Phänomene zu erklären, entwickelte er seine eigene Hypothese namens "Dynamidensystem". Redtenbacher stellte sich eine um einen Kern angeordnete Ätherhülle vor. Zitat: "Ich vermute ferner, dass die kontinuierlich rotierende Bewegung der Ätherhülle dem elektrischen Strome entspricht." Redtenbacher war gut vernetzt. Seiner Theorie zu Ehren komponierte Josef Strauss den Dynamiden-Walzer, uraufgeführt beim Industriellen-Ball 1865.

Transdisziplinär

Diese faszinierende Geschichte hat eine Gruppe von Ingenieuren und Wissenschaftern rund um seinen Geburtsort Steyr veranlasst, 2010 die Redtenbacher-Gesellschaft zu gründen, den "Verein zur Förderung transdisziplinären Denkens in Wissenschaft und Praxis". Schon ein Jahr davor hatte man das erste Symposium veranstaltet. Transdisziplinäres Denken ist es ja, was wir heute in der Zwickmühle zwischen Klimaerhitzung und Corona-Pandemie notwendiger brauchen denn je.

Das Symposium 2021 stand unter dem Titel "Macht:Vernunft: Weisheit". Zahlreiche Krisen, die ineinandergreifen, zwingen die Menschheit zu neuen Denkmustern und Handlungsweisen. "In diesem Kosmos herrscht eine gewisse eingeschränkte Art der Vernunft, die sehr stark von Vermehrungs- und Optimierungslogiken geprägt ist", sagt Wolfgang Steiner, Präsident der Redtenbacher-Gesellschaft in seinen einleitenden Worten und fügt hinzu: "Das Symposium soll daher die Bandbreite des Vernunftbegriffs reflektieren, der in gegenwärtigen Auseinandersetzungen immer wieder zutage tritt. Vernunft einerseits als technisch organisatorische Fähigkeit, Macht über die Natur und den Menschen ausüben zu können, andererseits als das Vermögen, ein weises Leben in Eintracht mit Mensch und Natur zu führen."

Mit "Ökonomik in Krisenzeiten – Krise der Ökonomik?" befasst sich der neue Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr. Die Macht gehe mit der Verfügungsgewalt der Produktionsmittel einher: "Die Treiber wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Entscheidungen sind die Mächtigen in einem System, aber es bildete sich schon zu Redtenbachers Zeiten ein Gegengewicht in Form von Arbeitnehmervereinigungen und Gewerkschaften."

Felbermayr ergänzt, dass die Ökonomen über keine Ziele verfügten, sie böten lediglich die Instrumente, diese zu erreichen. Die Ziele selbst, etwa eine möglichst gleiche Verteilung der Einkommenshöhe, kämen aus der Gesellschaft.

Glauben oder besser nicht

Sigrid Stagl, Gründerin des Institute for Ecological Economics und Leiterin des Department of Socio economics an der Wiener Wirtschaftsuniversität, umreißt die Situation in ihrem Vortrag Neue Strukturen für zukunftsfähiges Wirtschaften folgendermaßen: Die letzten sieben Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen." Sie macht deutlich, dass die Durchschnittstemperatur bereits um einen Grad gestiegen ist und wir derzeit auf einem Pfad von 2,7 Grad wären. "Der Unterschied zwischen den in Klimazielen vereinbarten 1,5 und zwei Grad klingt manchmal nach einer kleinen Veränderung. Bezüglich extremer Hitzeereignisse ist der Unterschied bei zwei Grad 2,6-mal so stark gegenüber 1,5 Grad. Und beim Artensterben, beim Verlust von Biodiversität, ist die Auswirkung bei zwei Grad sogar dreimal so stark wie bei 1,5. Die Zerstörung von Lebensgrundlagen verschärft Konflikte und Migrationsdruck."

Klaus Wiegerling, Philosoph und Professor am Institut für Technologiefolgenabschätzung und Systemanalyse am KIT Karlsruhe, beschreibt im Vortrag Kriterien ethischer Bewertung von Technologien den "Weichenstellerfall" des Juristen Hans Welzel 1951, der in Zusammenhang mit dem autonomen Fahren immer wieder erwähnt wird: Der Weichensteller hat die Wahl, einen Personenzug auf einen stehenden Zug auffahren zu lassen oder ihn auf eine Baustelle umzulenken und den Tod mehrerer Bauarbeiter zu riskieren. Diese Entscheidung lässt sich anhand vieler anderer Beispiele illustrieren. Wiegerling betont, dass in so einer Situation auch kulturelle Werte eine Rolle spielten: "Man denke nur an die heiligen Kühe in Indien und deren herausragende Bedeutung, auch im Straßenverkehr."

Für den Physiker und Wissenschaftspublizisten Florian Aigner stellt sich die Frage, wo wir die Grenzen zwischen dem, was wir glauben sollen, und dem, was wir lieber nicht glauben sollten, ziehen. In seinem Vortrag Wissenschaftliches Denken in Krisenzeiten betont er: "Wut oder Bauchgefühl dürfen in einer Demokratie nicht als Argument anerkannt werden. Wir können gar nicht anders, als uns auf die Wissenschaft zu beziehen." (Rudolf Skarics, 4.1.2022)