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Maria (Noomi Rapace), kinderlos, bemuttert ein Lämmchen.

AP / Lilja Jons

Lamb, zu Deutsch Lamm, ist vor allem ein Tierfilm. Hund, Katze, Schafe und Mischwesen bekommen mindestens genauso viel Bildschirmzeit wie die menschlichen Protagonisten, das Paar Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason). Sie leben von der Schafhaltung auf einem abgelegenen Hof in Island. Die stumme Arbeitsroutine im Stall dominiert ihren Alltag, was nicht nur an der Mechanik der Arbeit liegt, sondern auch an der Trauer wegen des Todes ihres Kindes – jede Geburt im Schafstall weckt Erinnerungen an den eigenen Verlust.

A24

Doch eines Tages bringt ein Schaf ein ganz besonderes Lämmchen zur Welt – so besonders, dass Maria und Ingvar es aufziehen wie ihr eigenes Kind. Der Schafsmutter jedoch passt das gar nicht. Unentwegt blökend steht sie vor dem Haus, bis Marias Mutterinstinkte überhandnehmen und sie die leibliche Mutter aus dem Weg schafft. Mitansehen tut dies unbemerkt Petúr (Björn Hlynur Haraldsson), Ingvars Bruder, der von seiner Band nahe dem Hof ausgesetzt wurde. Mit ihm bekommt das Lämmchen Ada einen Onkel, der sie schließlich auch ins Herz schließt – denn wer könnte das nicht? Damit ist vorerst ein zerbrechlicher Frieden hergestellt.

Bildgewaltig

Valdimar Jóhannssons Langfilmdebüt hat 2021 großen Eindruck hinterlassen – erst in Cannes, wo es im Wettbewerb Un Certain Regard den Preis für Originalität gewann, dann in den USA, wo Lamb zum Kritikerliebling und als isländischer Kandidat für den Auslandsoscar nominiert wurde. Mit seiner mysteriösen Atmosphäre im bildgewaltigen Island ist Lamb aber auch ein exemplarischer Film des Studios A24, das den von Island, Schweden und Polen kofinanzierten Film unter die Fittiche genommen hat. Das 2012 in New York gegründete Studio besetzt wie kein anderes die Schnittstelle zwischen Indie-, Arthouse-, Horror- und Mysteryfilm und verzeichnet damit ähnliche Kulterfolge wie zuletzt Miramax in den späten 1980er-Jahren.

A24 fokussiert auf schräge Stoffe und künstlerische Qualität. Lamb hat beides. Mit Noomi Rapace (The Girl with the Dragon Tattoo, Prometheus) als bekannterem Star, dessen ungewöhnliches Gesicht dann doch öfters den Bildschirm füllt als das des Mutterschafs, gelingt es Lamb, eine charismatische Mutter- und Frauenfigur zu entwerfen. Ihr Ehemann Ingvar besticht vor allem durch sein ruhiges, liebevolles Gemüt, sein Bruder Petúr (Björn Hlynur Haraldsson) dagegen, ein in der Midlifekrise steckender Rocker, kann auch einmal ungemütlich werden. Doch beide sind sie Maria treu ergeben.

Aufritt: Gott

Zwei Brüder, eine Frau und ein Mischwesen in der Einöde Islands. Das klingt nach alten Mythen, nach Geistern und Göttern – und der im Hintergrund waltende Gott tritt dann tatsächlich auch auf. Einmal anfangs, als durch Felder und den Stall wandelndes, körperloses und bedrohliches Schnaufen; einmal gegen Ende, wenn Recht nach dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn" wiederhergestellt wurde und Maria mitten im Bild wie gekreuzigt fassungslos in die Kamera blickt.

Dann setzt auch der Abspann mit Händels Sarabande ein, was den leisen Verdacht zu bestätigen scheint, dass der teils schwermütige Soundtrack und die verlangsamte Béla Tarr’sche Bildsprache in Lamb am Prätentiösen beizeiten nur haarscharf vorbeischrammen.

Doch Lamb ist auch weit entfernt von billigen Schreckmomenten und von metzelnden Schafen, vom spaßigen Schafshorror à la Black Sheep (Neuseeland 2006), stattdessen ist er eine dunkle Fabel über ein Gottesgeschenk, das der Mutter wieder genommen wird, weil sie sich als unwürdig erwiesen hat. (Valerie Dirk, 7.1.2022)