Huang Po-Chih thematisiert in seiner Mumok-Ausstellung "Blue Elephant" das Leben und die Arbeitsumstände der Menschen in taiwanesischen Textilwerkstätten.

Foto: Christian Benesch, Mumok

Im Sauerteig bringen Hefepilze einen Gärungsprozess in Gang. Das wissen viele Hobby- bäcker seit Beginn der Pandemie. Die Hefe bildet Poren und verhindern Homogenisierung. Als soziale Hefe bezeichnet der taiwanesische Künstler Huang Po-Chih deshalb seine Kunst. Seine Arbeiten sind sozusagen eine Starterkultur für soziale Veränderung, und für sein enges Umfeld mag das wohl stimmen.

Der 41-Jährige siedelt seine Arbeiten dort an, wo sich Kunst, Dokumentation und Aktivismus "gute Nacht" sagen.

Er wächst etwas südwestlich von Taipeh auf und schließt in der taiwanesischen Hauptstadt die Kunstakademie ab. Vor fünfzig Jahren galt diese Gegend als Fabrik der Welt. Dann wandert dieser Titel in den Neunzigerjahren mit billiger Arbeitskraft schnell hinüber aufs chinesische Festland. Die geopolitischen Verschiebungen erlebt die Mutter des Künstlers Huang Po-Chih hautnah.

Jahrzehntelang näht sie Kleidung für den Weltmarkt und bekommt vom vielen Sitzen geschwollene Beine, während sich ihre Haut von Denim-Stoffen blau verfärbt. Diese Arbeiterinnen nennen sich selbst bald blaue Elefanten – und damit geben sie auch der ersten Einzelausstellung des Künstlers außerhalb von Asien ihren Titel.

Als mit der Finanzkrise von 2008 die letzten Textilfabriken auf Taiwan schlossen, verliert Huangs Mutter ihren Job. Sie spielt eine zentrale Rolle in den im Mumok ausgestellten Arbeiten. So erzählen blau gebundene Bücher ihre Geschichte in Textform nach, auf einer Fotografie imitiert sie mit ihren Armen einen Elefanten.

Einzelschicksale

Nicht zuletzt hat sie viele der dutzenden blauen Denim-Hemden in einer partizipativen Performance geschneidert, die den Ausstellungsraum dominieren und nur darauf warten, als Instagram-Story gepostet zu werden.

Blue Elephant umspannt ausgehend von Huangs Mutter sowohl Einzelschicksale in vielen asiatischen Tigerstaaten als auch die kapitalistischen Wachstumsschmerzen der Letzteren. Frau Kim etwa aus einer koreanischen Schneiderei posiert gleichfalls als Elefant. Und eine Tante träumt in einer kleinen Änderungsschneiderei in Hongkong davon wegzufliegen.

Der Künstler schneidet ihr daraufhin das Oberteil am Rücken entzwei und gibt ihr symbolisch Flügel. Mit diesem Bild spielt der Künstler auch in seiner jüngsten Videoarbeit Seven People Crossing The Sea, die Arbeitsmigration in der Textilbranche behandelt.

Aufmerksamkeit vonnöten

Die dafür verwendeten Stoffe bilden eine Art Kokon. Zerschnitten ähneln sie immer stärker Flügeln und öffnen den Raum für soziale Veränderung. Huang Po-Chih ist zweifelsohne ein schlauer Kerl.

Er macht es dem Mumok-Publikum allerdings nicht leicht, viele seiner Querverweise nachvollziehen zu können. Man muss – mehr als sonst – sehr aufmerksam lesen, sehen und zusehen.

Dieser Sauerteig gärt etwas langsam. (Stefan Niederwieser, 8.1.2022)