Choreografin Linda Samaraweerová, ab Dienstag im Wiener Tanzquartier.

Judith Stehlik

Kunst machen, ohne sich von karrieretechnischen Spekulationen verbiegen zu lassen, aus Leidenschaft alles geben außerhalb von Leistungszwängen, eigenständig sein mit einer Passion für Zusammenarbeit mit anderen: Das ist Linda Samaraweerová, seit zwei Jahrzehnten eine der facettenreichsten Figuren der österreichischen Tanzszene.

Zwölf Jahre davon hat die Choreografin mit dem bildenden Künstler Karl Karner "symbiotisch", wie sie sagt, kooperiert. Dabei entstanden ab 2005 Performances mit teils düsterem, teils ironischem Einschlag wie "Karl Karner, gestorben am …", "I Think We Have A Good Time – chanson de geste", "Alan Greenspan Grünspan" oder "Würfeln", die ihr Publikum im In- und Ausland immer wieder verblüfften.

Spielball der Ambitionen

Oft zeigten sie den Menschen als Spielball seiner eigenen Ambitionen, bedrängt und übertölpelt von unbeherrschbaren Konstruktionen. Samaraweerová gestaltete die Abläufe der Stücke und die Bewegungen der Performer, Karner entfesselte die Medien und Materialien.

Jetzt bringt die 45-Jährige mit "Durst" ihre erste Oper und das zweite Bühnenwerk nach Ende der Partnerschaft mit Karner (2017) heraus: eine choreografische Musikperformance, die in Kooperation mit dem renommierten tschechischen Komponisten Robert Jíša, der Autorin Elke Laznia und Samaraweerovás Schwester Laura, die für die Dramaturgie und die Videoinstallation verantwortlich zeichnet, entstanden ist.

Zum Gespräch treffen wir uns im quietschlebendigen Café des Dschungel-Theaters, also gleich neben dem Tanzquartier Wien, auf dessen Website Samaraweerovás "Durst" ab Dienstag uraufgeführt wird: als Film, bei dem die Choreografin selbst Regie führt. Innerhalb von nur zwei Tagen nach ihrem Entschluss, die Premiere online zu zeigen, wurde die über drei Jahre hin entwickelte Live-Performance so umkonzipiert, dass sie dem Medium Film gerecht wird.

Latte hängt hoch

Die Latte liegt hoch nach der vorangegangenen Arbeit "The Endless Island of Absence – Mystery of Happiness", mit der Samaraweerová 2018 ihre künstlerische Eigenständigkeit bewiesen hat. Die Besucher wurden nach einem Frauen-Tanzsolo-Vorspiel auf die Bühne eingeladen, dort einzeln in von der Decke hängende Matten gesetzt und, darin schwebend, auf einen traumhaft poetischen Sound-Text-Trip im Dunkeln geschickt.

Eine Reise ist auch Samaraweerovás Biografie. Geboren wurde sie eine Woche nach Gründung der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in Prag als Tochter einer Tschechin, ihr Vater stammte aus Sri Lanka. Als 13-Jährige übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Wien. Es war ein Kulturschock, "aus dem Kommunismus hierherzukommen, weil ich den materiellen Konsum nicht gewohnt war. Ich bin in Tschechien unter Künstlern mit Kindern aus unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen, die Interessen außerhalb des Konsums hatten."

Immerhin wurde sie "mit großer Offenheit" aufgenommen. "Die Mischung von Kulturen begleitet mich mein Leben lang", sagt die Choreografin. "Was ich daher in der Kunst sehr mag, ist Diversität und spartenübergreifendes Arbeiten."

Yoga und innere Ruhe

Ihre künstlerische Ausbildung absolvierte Samaraweerová um die Jahrtausendwende bei Anne Teresa De Keersmaekers berühmter Tanzakademie P.A.R.T.S. in Brüssel. Zurück nach Österreich ist sie 2002 nicht nur wegen der lebendigen Kunstszene gekommen: "In Tschechien war alles problematisch, was anders war, sowohl von der Hautfarbe her als auch kulturell. Aber in Österreich habe ich eine Gesellschaft erlebt, die zwar sehr konsumorientiert, aber auch gewohnt war, Ausländer willkommen zu heißen. Hier habe ich – bis auf vielleicht zwei ganz kleine Ausnahmen – keinen Rassismus erfahren. Deswegen bin ich auch hiergeblieben."

Yoga betreibt sie schon seit ihrem elften Lebensjahr. Das hat sie in letzter Zeit intensiviert: "Ich beschäftige mich mehr mit existenziellen Fragen. Ich hatte gesundheitliche Probleme, eine Fehlgeburt, bin beinahe gestorben, da waren der Tod meines Vaters und die Trennung von Karl Karner, mit dem ich zwanzig Jahre zusammengelebt hatte." In der Folge hat sie begonnen, sich "durch Meditation und spirituelle Arbeit selbst zu harmonisieren".

Samaraweerová, die heute auch als Leiterin der Trainingsabteilung des Tanzquartiers arbeitet, hat ihren künstlerischen Ansatz verändert. Sie experimentiert weniger mit intellektuell angeregter Motivation, sondern mit der Wahrnehmung von Emotionen. "Vor zwanzig Jahren habe ich die Wissenschaft extrem geschätzt. Aber auch sie hat Limits in ihren Antworten, wo ich dann nicht mehr weiterkomme."

Das Beste für sie sei nun "die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität, weil die Wissenschaft ein klares methodisches Denken hat und die Spiritualität verhindert, dass man sich in Fantasie, Emotionen und falschen Annahmen verliert". Allerdings gilt: "Wer in der Spiritualität nicht zwischen den einzelnen Informationen unterscheiden kann, verliert sich sehr leicht in falschen Glaubenssätzen." (Helmut Ploebst, 11.1.2022)